Seite:Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben.pdf/70

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Zeit, das du entworfen hast, nicht zerstören. Einen genauen Bericht von dem zu geben, was sich nie begeben hat, ist nicht nur die eigentliche Beschäftigung des Historikers, sondern das unveräußerliche Privileg jedes Menschen von Gaben und Kultur. Noch weniger begehre ich gelehrtenhaft zu reden. Gelehrte Gespräche zu führen ist entweder Heuchelei der Ungebildeten oder Beruf der geistig Arbeitslosen. Und übrigens, was man Bildungsvorträge und Debatten nennt, das ist nur die närrische Methode der noch närrischeren Philanthropen, mit der sie den schwächlichen Versuch machen, den gerechten Groll der Verbrecherklassen zu entwaffnen. Nein: ich will dir ein tolles, feuerfarbenes Stück von Dvorák spielen. Die blassen Gestalten des Gobelins lächeln uns zu und die schweren Lider meines bronzenen Narcissus fallen in Schlaf. Wir wollen in dieser Stunde nichts feierlich debattieren. Ich bin mir nur zu sehr der Tatsache bewußt, daß wir in einer Zeit geboren sind, wo nur die Dummköpfe ernst genommen werden, und ich lebe immer in Angst, nicht mißverstanden zu werden. Bring mich nicht in die beschämende Lage, dich etwas Nützliches zu lehren. Erziehung ist eine schöne Sache, aber es ist gut, von Zeit zu Zeit daran zu denken, daß nichts wert ist, gewußt zu werden, das gelehrt werden kann. Durch die geteilten Vorhänge hier am Fenster sehe ich den Mond wie ein abgeschnittenes Stück Silber. Wie goldene Bienen schwärmen die Sterne um ihn. Der Himmel ist ein fester gewölbter Saphir. Wir wollen in die Nacht spazieren gehn. Denken ist herrlich, aber das Abenteuer ist noch herrlicher. Wer weiß, ob wir nicht den Prinzen Florizel von Böhmen treffen, oder ob uns nicht die schöne Kubanerin sagt, sie sei nicht, was sie scheint?

Empfohlene Zitierweise:
Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/70&oldid=- (Version vom 1.8.2018)