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Personen sind, was sie sind, sondern daß der Dichter ist, was er ist. Sonst ist der Roman kein Kunstwerk. Paul Bourget ferner, der Meister des roman psychologique, begeht den Irrtum, daß er sich einbildet, die Männer und Frauen des Lebens unserer Zeit seien geeignet, in einer unzähligen Reihe von Kapiteln unaufhörlich analysiert zu werden. In Wahrheit ist das, was an den Menschen der guten Gesellschaft – und Bourget verläßt das Faubourg St. Germain höchstens, um nach London zu gehen – interessant ist, die Maske, die sie alle tragen, nicht die Wirklichkeit hinter der Maske. Das ist ein demütigendes Bekenntnis, aber wir alle miteinander sind aus demselben Stoff gemacht. In Falstaff ist etwas von Hamlet, und in Hamlet nicht wenig von Falstaff. Der dicke Ritter hat seine Anwandlungen von Melancholie, und der junge Prinz seine Augenblicke derben Humors. Lediglich in Zufälligem unterscheiden wir uns voneinander: in Kleidung, Manieren, Klang der Stimme, religiösen Meinungen, individuellem Aussehen, eigentümlichen Gewohnheiten und dergleichen. Je mehr man Menschen analysiert, um so mehr verschwinden alle Gründe zur Analyse. Früher oder später langt man bei der schrecklichen allgemeinen Sache an, die Menschennatur heißt. Wahrhaftig – jeder, der einmal unter der Armenbevölkerung tätig war, weiß es nur zu gut – die Brüderschaft der Menschen ist nicht ein bloßer Poetentraum, sondern eine sehr bedrückende und demütigende Wirklichkeit; und wenn ein Schriftsteller dabei bleibt, die oberen Klassen zu analysieren, könnte er ebensowohl gleich von Streichholzverkäuferinnen und Marktweibern schreiben!“ Jedoch, lieber Cyrill, ich will dich mit dieser Auseinandersetzung nicht länger aufhalten. Ich gebe völlig zu, daß die

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Oscar Wilde: Zwei Gespräche von der Kunst und vom Leben. Insel, Leipzig 1907, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Gespr%C3%A4che_von_der_Kunst_und_vom_Leben.pdf/17&oldid=- (Version vom 1.8.2018)