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Ernst: Der Kritiker also, da er sich doch auf die subjektive Form beschränken muß, ist notwendigerweise weniger imstande, sich voll zum Ausdruck zu bringen als der Künstler, dem immer die unpersönlichen und objektiven Formen zu Gebote stehen.

Gilbert: Nicht notwendigerweise, und sicher überhaupt nicht, wenn er erkennt, daß jede Art der Kritik in ihrer höchsten Erscheinungsform nur eine Stimmung ist, und daß wir nie uns selbst treuer sind, als wenn wir inkonsequent sind. Der ästhetische Kritiker, der nur dem Prinzip der Schönheit in allen Dingen treu ist, ist immer auf der Suche nach neuen Impressionen, lernt von den verschiedensten Richtungen in der Kunst das Geheimnis ihres Reizes und beugt sich wohl auch vor fremden Altären oder schenkt, wenn ihm der Sinn so steht, seltsamen neuen Göttern seine Gunst. Was andere Menschen unsere Vergangenheit nennen, hat ohne Zweifel mit ihnen alles mögliche zu tun, aber nicht das geringste mit uns selbst. Wer sich um seine Vergangenheit kümmert, verdient keine Zukunft zu haben, nach der er vorwärts blickt. Wenn man für eine Stimmung einen Ausdruck gefunden hat, ist man fertig mit ihr. Du lachst; aber glaube mir, es ist so. Gestern hat uns der Realismus entzückt. Wir verdankten ihm den nouveau frisson, den hervorzubringen seine Aufgabe war. Wir analysierten ihn, erklärten ihn und wurden ihn satt. Am Ende des Tages kam der Luministe in der Malerei, der Symboliste in der Dichtung, und der Geist des Mittelalters, ein Geist, der nicht einer Zeit, sondern dem Gemüt angehört, erwachte plötzlich im gepeinigten Rußland und nahm uns einen Augenblick mit dem furchtbaren Reize des Schmerzes hin. Heute ertönt der Ruf nach Romantik, und schon zittern die Blätter im Tale,