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Praxis minderwertig gemacht worden. Wer, der sich im Drang und der Plackerei des tatsächlichen Daseins aufhält, ein geräuschvoller Politiker oder ein keifender Sozialreformer oder ein armer, geistig beschränkter Priester, dem die Leiden des unwesentlichen Teils der Gemeinschaft, unter den ihn sein Los gestellt hat, die Augen verblenden, kann so einer ernsthaft von sich behaupten, er könne ein interesseloses geistiges Urteil über irgend eine Sache bilden? Beruf ist ein anderes Wort für Vorurteil. Die Notwendigkeit einer Karriere zwingt jeden, Partei zu ergreifen. Wir leben im Zeitalter der Arbeitsüberbürdung und des Bildungsmangels; in einem Zeitalter, in dem die Menschen so tätig sind, daß sie ganz und gar dumm werden. Und so hart es klingen mag, ich muß sagen, daß solche Menschen ihr Schicksal verdienen. Wer sicher gehen will, nichts vom Leben zu wissen, muß darauf aus sein, sich nützlich zu machen.

Ernst: Eine liebenswürdige Lehre das, Gilbert.

Gilbert: Ich bin mir nicht ganz sicher darüber, aber sie hat mindestens das geringere Verdienst, wahr zu sein. Daß das Verlangen, andern Gutes zu tun, eine Masse pedantische Gecken hervorbringt, ist das geringste Übel, an dem es schuld ist. Der Geck ist eine sehr interessante psychologische Erscheinung, und wenn schon von allen Posen die Moralpose die anstößigste ist, so ist es doch schon etwas, überhaupt eine Pose zu haben. Die Pose ist eine formelle Anerkennung, wie wichtig es ist, das Leben von einem bestimmten und überlegten Standpunkt zu nehmen. Daß das humanitäre Mitgefühl gegen die Natur streitet, indem es das Überleben der verfehlten Exemplare sichert, kann den Mann der Wissenschaft zum Abscheu gegen solche schwächliche Tugend bringen.