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Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.

Allaugenblicklich drohet ihm
          der Tod von allen Seiten,
jetzt macht der Schollen Ungestüm

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          ihn sammt dem Rosse gleiten,

jetzt droht die Scholle, die ihn trägt,
          in Trümmern zu zerschellen,
          wenn sie im Druck der Wellen
     an eine and’re schlägt.

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So zwischen Tod und Leben harrt

          er auf die Dresdner Brücke,
wo Mancher schon gerettet ward,
          und sieht mit freud’gem Blicke
sie endlich und das Volk darauf

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          mit langen Rettungsleinen

          in weiter Fern’ erscheinen,
     und blickt zum Himmel auf.

„Gott, hier bei mir, wie dort am Strand!
          Du kannst mich Schwachen retten;

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das Element hält deine Hand

          an ewig festen Ketten.
Herr Gott im Himmel, höre mich,
          wie ich um Hülfe flehe;
          doch, was du willst, geschehe,

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     auf dich vertraue ich!“


So betet er. Am Strande stehn
          wohl viele Hülferufer,
doch Helfer keine, denn es gehn
          die Schollen fern vom Ufer.

Empfohlene Zitierweise:
Widar Ziehnert: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. II. Band.. Rudolph & Dieterici, Annaberg 1838, Seite 019. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ziehnert_Sachsens_Volkssagen_II_019.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)