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seines Kranken erzählen, nicht damit er sie witzig zur Schau trage, sondern damit er ihm Leichterung schaffe und ihm helfe. Wäre alles, wovon gesprochen ist, ein schwerer dunkler Traum langer Jahrhunderte, ein ungeheurer Wahnsinn der Zeiten gewesen; zeiget ihn als solchen. Hebt die Erzählungen verführter, mißleiteter Seelen sorgsam aus, und bemerkt, wie sie mißleitet wurden, wie sie sich selbst verführten. Zeigt dies mit aller zarten Theilnahme, mit jedem Hülfreichen Erbarmen, herabsteigend in die Tiefen der menschlichen Natur, in ihre betrüglichen Tiefen. Wie lehrreich werdet ihr schreiben! Eine kleine Legende wird mehr Psychologie, mehr Warnung, Rath und Trost enthalten, als vielleicht ein ganzes System kalter pharisäischer Sittenlehre. Sie wird wieder werden, was ihr Name sagt, ein durchaus zu Lesendes, ein Legende.


Nur gehört vor allem hiezu Theilnahme, Versetzung ins Zeitalter und Leben derer,

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Sechste Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1797, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_6.pdf/288&oldid=- (Version vom 1.8.2018)