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ohne gerichtliches Urteil. Er hat wie jedermann einen Richter über sich, den Pfalzgrafen bei Rhein, und auch der kann den König zu peinlicher Strafe erst dann verurteilen, wenn dem Könige sein fränkisches Recht und das Reich vorher abgesprochen ist. Wie aber der Vollzug einer peinlichen Strafe an der Person des Königs nur möglich war unter der Voraussetzung, daß er das Reich verwirkt habe, so hält der Glossator auch nur unter derselben Voraussetzung einen Widerstand gegen wirkliches oder vermeintliches Unrecht des Königs für erlaubt. Gewiß mit Recht! Denn wenn auch der Sachsenspiegel einen solchen Satz nicht ausdrücklich ausspricht, so ist doch die ganze Stellung, die er dem Könige zuweist, eine solche, daß er einen Widerstand gegen den im Amte befindlichen König gar nicht in Frage kommen lassen kann. Der König ist der oberste Richter im Reich, er ist auch die Quelle aller hohen Gerichtsgewalt im Reich, die er den Fürsten und Grafen überträgt. Er verleiht die weltlichen Fürstentümer und den geistlichen Fürsten die Regalien. Er ist der höchste Lehnsherr, der höchste Kriegsherr, der Inhaber aller Banngewalt. Schon als römischer König ist er zugleich Kaiser, wenn auch bis zur Weihe durch den Papst zunächst ohne diesen Titel zu führen, und hat als solcher die weltliche Gewalt im Imperium unmittelbar von Gott. Und diesem Könige gegenüber sollte einem jeden einzelnen seiner Untertanen das Recht zustehen, ihm Widerstand zu leisten, wenn der König sich irgendwie im Unrecht befinden sollte? Es wird nicht gesagt, in welcher Weise das Unrecht des Königs festgestellt werden sollte. Das hätte wohl nach Eikes Ansichten über das Königtum nur durch ein gerichtliches Verfahren vor dem Pfalzgrafen erfolgen können. Das Urteil aber, mit welchem dies Verfahren schloß, mußte, wenn es die Wirkung haben sollte, den Widerstand gegen den König zu gestatten, die Verurteilung des Königs zu peinlicher Strafe enthalten, denn nur in diesem Falle mußte ihm zuvor das Reich mit Urteilen verteilt sein. Auch dem Glossator war ein Widerstand gegen den König von seiten eines Reichsuntertanen nur denkbar, wenn der König das Reich verwirkt hatte. Dann war aber der, welcher das Unrecht beging, nicht mehr der

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Karl Zeumer: Das vermeintliche Widerstandsrecht gegen Unrecht des Königs und Richters im Sachsenspiegel. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1914, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_35_071.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)