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Auch in der Kirche hat sich der Grundsatz von der Einheitlichkeit der Wahlhandlung erst langsam ausgebildet. Die ältere Lehre[1] fasste, vielfach von germanischen Rechtsideen beeinflusst, ohne den Anstaltsbegriff vollständig zu verlieren, die verschiedenen kirchlichen Verbände als Genossenschaften auf und vertrat das Princip einer genossenschaftlichen Gesammtberechtigung der Mitglieder. Als Träger der Rechte galt ihr die sichtbare Versammlung der Genossen; diese trat nach aussen hin selbst als die Genossenschaft, nicht aber als Organ einer von ihr verschiedenen Person handelnd auf, und sie handelte dadurch, dass sie sich in geordneter Weise eines Willens bewusst ward und diesen durch einen Gesammtact als ihren einheitlichen Beschluss erklärte und zur That machte[2].

Diese genossenschaftliche Auffassung rief aber auch die Idee hervor, dass an einer Wahl Alle betheiligt sein sollen, die in dem zu Wählenden einen Vorgesetzten erhalten[3]. Dies führte weiter dazu, dass man sich bei dem Beschlusse

  1. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht Bd. II. S. 526, Bd. III. S. 304 ff.
  2. Das genossenschaftliche Princip wandte die Kirche auch auf das Verhältniss der Bischöfe einer Kirchenprovinz zu einander an. Alle Suffragane sollten anwesend sein oder doch ihre Zustimmung geben zur Ordination eines Bischofs durch den Metropoliten. Vgl. die Stellen D. 64 c. 1, 2, 7; D. 65 c. 2, 3, 9. Im Abendlande verloren die Comprovinzialbischöfe das Wahlrecht, das sie in den ersten Jahrhunderten der Kirche als Mitglieder der Synode besessen hatten. Die Bischofswahl blieb Sache der Gemeindeversammlung. Der Clerus der verwaisten Kirche wählte den neuen Oberhirten, und unter dessen Führung die Gesammtheit der Laien. Im Laufe der Zeit wurde aber die Wahlbefugniss eingeengt, und das Wahlrecht unter Ausschluss der Laien und übrigen Cleriker zu einem alleinigen Rechte der Domcapitel. Sohm, Kirchenrecht Bd. I. S. 275; Hinschius, Kirchenrecht Bd. II. S. 545, 601 ff.
  3. Diesen Gedanken finde ich zum erstenmale ausgesprochen in mehreren Briefen Hinkmar’s von Rheims (9. Jahrh.). In einem heisst es z. B.: quae electio non tantum a civitatis clericis est agenda, verum et de omnibus monasteriis ipsius parochiae et de rusticanarum parochiarum presbyteris occurrant vicarii …, sed et laici nobiles ac cives adesse debeberunt, quoniam ab omnibus debet eligi, cui debet ab omnibus oboediri. Migne, Patrologia latina Bd. 126. Sp. 268, vgl. ebend. Sp. 267 und 270.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred von Wretschko: Der Einfluss der fremden Rechte auf die deutschen Königswahlen bis zur Goldenen Bulle. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1899, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_fuer_Rechtsgeschichte_Germ._Abt._Bd_20_177.JPG&oldid=- (Version vom 1.8.2018)