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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932

Bei der Beurteilung der Bedeutung des Theaters hat man zunächst an das öffentliche Theater zu denken, wo die Besucher als Zuschauer eine passive Rolle spielen. Trotz der in einer Reihe von Ländern unter Mitwirkung von Arbeiterorganisationen geschaffenen Theater und trotz der Gründung der Volksbühnen-Vereine gilt mancherorts der massenhafte Besuch von Theatern der Aufführung sog. „Volksdramen“, die das eigene Leben des Arbeiters gewöhnlich auf melodramische Art und Weise reproduzieren, die Solidarität verherrlichen und dadurch dem Narzismus der Besucher schmeicheln. Eine andere Grundform bildet das Theater, wie es vor allem in bäuerlichen Gegenden gepflegt wird, wo öfters noch heute historische Dramen oder religiöse Spiele aufgeführt werden. Daneben nennen wir die Dilettantenvereine, wie sie vor allem in den lateinischen und angelsächsischen Ländern bestehen.

VIII.

Daß mit der Zunahme der Freizeit auch die Zerstreuungen sich vervielfältigen, ist mit Hinsicht auf die differenzierten Bedürfnisse der verschiedenartig veranlagten Menschen klar. Die Arbeiterpresse liefert dafür ein deutliches Beispiel. Rubriken, welche vor dem Krieg kaum in einer Tageszeitung vermutet wurden, machen jetzt einen wesentlichen Bestandteil dieser Blätter aus. Wir denken an die regelmäßig erscheinenden Nachrichten über Rudersport, Schwimmen, Fußball, Kanu und Kanubau, Basteleien, Errichtung von Taubenschlägen, Karten- und Schachspiel, Photographieren, Baukurse für Anfertigung von Radioapparaten, Vereinswesen, Briefmarkensammeln usw.

Es fallt schwer festzustellen, inwieweit qualifizierte oder nichtqualifizierte, politisch und gewerkschaftlich organisierte oder unorganisierte Arbeiter sich dieser oder jener Zerstreuungsmittel bedienen. Generell darf gesagt werden, daß das Hauptquantum an Freizeit, über das die Arbeiter verfügen, die Entwicklung der verschiedenen persönlichen Bedürfnisse stark fordert und deswegen eine immer größere Verschiedenheit der Entspannungsmöglichkeiten auftritt. Die durch den besseren Wohnungsbau, soziale Hygiene, günstigere Arbeitsbedingungen ermöglichte angenehmere Lebensweise[1]

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 1. Jg 1932. C. L. Hirschfeld, Leipzig 1932, Seite 352. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_Jahrgang_1.pdf/268&oldid=- (Version vom 15.1.2023)
  1. Für die sozialpolitische Bedeutung der vermehrten Freizeit bieten die Veröffentlichungen des Internationalen Arbeitsamtes wichtiges Quellenmaterial, besonders diejenigen, welche als Grundlage für die Behandlung der Freizeitfrage auf der 1924 abgehaltenen Internationalen Arbeitskonferenz erschienen sind.