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ringsum gähnende Stille, Athemlosigkeit und Verfall, wie in einem verwunschenen Schlosse, darüber ein schwül sengender, fieberschwerer Odem weht, so wie er die Blume unter dem schwül-schweren, sengenden Sommermittaghauche schlaff, welk, müde und lappig an die aschgraue Erde gedrückt sieht; und herrlich nun, wie sich die welke Blume dem feuchten Abendhauche in prangender Schönheit und würzig-duftend öffnet, strahlt am Abend das schläfrige Mädchen, die plundrige Frau dem betroffenen Auge in blendender Schönheit entgegen.

Die Maracaibarer genießen in ihrem Vaterlande des Rufes, sich durch Geist und Wissen auszuzeichnen; es macht sich unter ihnen, wie ein anderes äußeres Leben, auch eine andere geistige Strömung bemerkbar; sie sind geistig mehr dem wissenschaftlich-strebsamen Neu-Granadiner, als dem derb ruralen Venezuelaner verwandt. Der unruhige Geist des Kreolen sucht in dem Maracaibarer nicht zunächst und allein seine Sättigung in der Politik; ihm ist das wüste Parteitreiben nicht das Alpha und Omega des Lebensalphabets; es zieht ihn vielmehr die Materia aesthetica, die schöne und ernste Wissenschaft an. Die lokale Isolirung und Bewegungsbeschränkung hat wohl zuerst in ihm den Hang zur Reflexion genährt, der alsdann besonders in jener Zeitperiode gepflegt und ausgebildet wurde, als die Jesuiten daselbst ein Collegium zur Ausbildung distinguirter Persönlichkeiten unterhielten; es wurden darin besonders alte Sprachen, Philosophie, Rhetorik, das Steckenpferd des Hispano-Amerikaners, Poëtik und auch die spanische Sprache gelehrt, und Maracaibo nahm durch dasselbe den Hauptsitz der Gelehrsamkeit in der Capitania de Carácas ein; die Jesuiten erwiesen sich hier, wie in den andern spanischen Colonieen als die kräftigsten und geschicktesten Beförderer des Unterrichtes, wenn auch in ihrem Geiste. Fielen auch mit der Aufhebung der Gesellschaft Jesu die Institute für den öffentlichen Unterricht ebenfalls, so haben die Maracaibarer dennoch einen ausgebildeten Geschmack für die Literatur bewahrt; aber klassisches Muster und klassische Anleitung ist demselben verloren gegangen; er zehrt nunmehr von dem Nimbus einer vergangenen Periode, auf dessen Erhaltung man eifersüchtig bedacht ist. Die literarischen Spekulationen manifestiren sich nach außen in den vielen auf- und untergehenden Tages- und Wochenblättern, wie sie so zahlreich im Verhältniß zu dem kleinen literarisch gebildeten Kreis unter der ununterrichteten Masse kaum in einer der übrigen Schwesterstädte gefunden werden mögen, nicht aber alle ein Zeichen klassischen Geschmackes und taktvoller Mäßigung an sich tragen.

Die Jugend Maracaibo’s, von der Natur mit Feinheit und Einbildungskraft begabt, gefällt sich in der Konversation in sophistischen

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Diverse: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. Berlin: Dietrich Reimer, 1870, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_der_Gesellschaft_f%C3%BCr_Erdkunde_zu_Berlin_V_441.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)