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Emil Pauls: Zauberwesen und Hexenwahn am Niederrhein. In: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins, Jahrbuch des Düsseldorfer Geschichtsvereins. 13. Band, 1898. S. 134-242

Aber im grossen Ganzen tritt doch in der teilweise auf die Carolina sich stützenden Ordnung von 1607 eine an Roheit streifende Verirrung der Auffassung zu Tage, und die salbungsvollen Phrasen, mit denen stellenweise die langen Kautschukparagraphen gewürzt sind, können den Eindruck des Widerwärtigen, den das Machwerk eines verdunkelten Geistes[1] hervorruft, nur erhöhen. Wie allbekannt, gab es niemals Gerichtsverhandlungen, in denen die Frauenwürde in schamloserer Weise mit Füssen getreten wurde, als eben die Hexenprozesse. Völlige Entblössung durch den Henker und seine Knechte, Untersuchung des Körpers auf Amulette und Stigmata in Gegenwart von Schöffen und anderen Personen, hierauf eine jeder Beschreibung spottende, überaus qualvolle Folterung – dies stand jeder der Zauberei Angeklagten in ziemlich sicherer Aussicht. Dass selbst die verkommensten weiblichen Personen einer solchen Aussicht zitternd und zagend gegenüberstehen oder in laute Klagen ausbrechen, versteht sich ganz von selbst. Die Gerichtsordnung von 1607 ist aber anderer Ansicht. Wenn, so heisst es ungefähr, die Angeklagte zittert oder verwirrt erscheint, das Haupt neigt und den Blick zur Erde senkt, so hat sie wohl ein schlechtes Gewissen,[2] und wenn gar die Angeschuldigte bei ihrer Verhaftung klagt: nun ist es mit mir vorbei und dergl., so liegt darin ein höchst sicheres Anzeichen der Schuld.[3] Empörend berührt namentlich der Schluss der genannten Ordnung. Sehr häufig wurde ein in der Folterung gemachtes Bekenntnis später widerrufen. In solchen Fällen konnte die Folterung wiederholt werden. Hatte nun der Angeklagte dreimal bekannt, dreimal widerrufen und drei Folterungen durchgemacht, so wurde er trotzdem nicht immer den Seinigen wiedergegeben. Die Akten mussten vielmehr dann dem Kurfürsten zur Entscheidung der Frage vorgelegt werden,


  1. Infolge der bislang wenig bekannten Thätigkeit Ferdinands in Hexensachen dürfte das günstige Urteil, welches manche Schriftsteller über ihn gefällt haben, wesentlich eingeschränkt werden. In seiner unglaublichen Verblendung auf dem Gebiete des Hexenwahns liess Ferdinand sich vielfach durch die Anschauungen P. Binsfelds und des französischen Rechtsgelehrten J. Bodin leiten.
  2. Damit war also eine Prämie auf die Frechheit gesetzt! F. v. Spee (l. c. p. 437) berichtet übrigens, dass zwar Furcht und Zittern als Schuldbewusstsein ausgelegt wurden, aber auch das Gegenteil nichts half. Dann heisse es: Sagas innocentissimas iactare se, frontemque porrigere.
  3. Certissimum enim indicium est maleficii cum quis se ante condemnat quam accusatur.
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Emil Pauls: Zauberwesen und Hexenwahn am Niederrhein. In: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins, Jahrbuch des Düsseldorfer Geschichtsvereins. 13. Band, 1898. S. 134-242. Düsseldorf: Ed. Lintz, 1898, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zauberwesen_und_Hexenwahn_am_Niederrhein.djvu/87&oldid=- (Version vom 1.8.2018)