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„Wändsi jezt no es Tröpfli Dôle verkoschte?“ – meinte Venus, und ihr jugendlicher Kopf rührte leise meine Schläfe ....

Dole? – sagte ich – was ist das?

„Ja, das ischt ja eusere Allerbescht!“

Wo wächst der? – meinte ich, da ich den Namen nie gehört ....

„Ja wit unne im Süde, das ischt en fürige! ....

Am Taygetus-Gebirge? – rief ich unwillkürlich.

„So eba da ’rum – und wie isch das, dörfed die Maidli da au mittrinke? ....“

Ja, selbstverständlich! – rief ich – Ihr götlichen Kinder seid alle meine Gäste! .... alle – seid Ihr – meine – lieben – Gäste ....

Die Teller wurden aufeinandergestelt, die Meßer klappernd dazugelegt, und jede dieser staunenswert üppigen Grazjen ging mit einem Teil des Geschirrs, um den neuen Wein zu holen ....

Es war jezt leicht fröstlich geworden. Die Dämmerung hing wie in schweren Mänteln durch die Gegend. Einzelne lichte Punkte, die größten Sterne, wagten sich schon an den Himmel. Die Venus selbst war nicht zu sehen, sie war zu rasch der Sonne nachgefolgt. Eine gespenstige Helle zeigte sich über dem Westen, wie die Leichenbläße des hereinbrechenden Totes. Starr und unerbitlich wie die Totenrichter stand der Wald mit seinen Bäumen. Die Wiesen alle zugedekt und von schwarzer Hand schon berührt. Ein Grausen schritt unnachsichtig durch dieses Tal. Und nur am Himmel glänzte tröstlich und silbern das zarte Profil der bleichen, schmachtenden Selene ....

Venus, die lebende, kam jezt im weißen Schürzchen mit den beiden Mädchen, und brachte Gläser und eine dunkle Flasche. Lüstern wie Mondlicht glänzte die weiße Wäsche der unsterblichen Frau durch’s Tal und der dunkle Saft des neuen Weines nezte wie Blut unsere Finger und Lippen ....

Aber die Schatten hatten sich auch um uns gelegt. Die Bewegungen wurden langsamer, schwerfälliger. Die Worte wurden spärlicher. Die Umriße verwaschener. Auch wir waren unwillkürlich in den Hades geraten. Das dunkle Rebenblut floß geheimnisvoll durch unsere Adern und zwang die Stimmung zu ruhigem, ehernem Verhalten.

Was da Alles noch gesprochen und verhandelt wurde – Interna des Venusbergischen Haushaltes – „.... ’s Bettli, ’s Zimmerli, is ober Stökli, Gschiirli, ’s Wäßerli ....“ ich weiß es nicht mehr .... Ein Zank erhub sich unter den Mädchen, und ich sah die wilden, prächtigen Arme dieser Naturkinder kreuz und quer hin und herfahren und die großen Augen gräßlich aufreißen. – Das Lied des Herrn Tobler ging mir wieder durch den Sinn:

„Danhuser, lieber Danhuser min,
weit ier bei uns verblibe?
I will euch d’ jüngste Tochter gä
zu-m-ene ehliche Wibe ....“

Aber mein Kopf war so schwer geworden, als ob das ganze Taygetus-Gebirge mit all’ seinen Felsen und Rebstöken darauf gelastet hätte. Ich hörte nur noch, daß Venus dem ganzen Streit ein Ende machte und etwa sagte: „Ja, das ischt ja nüd .... dä wit Weg .... dur dä feischtere Wald durre .... was ihm da paßiere chönnt! ....“ Und zu mir sich wendend, sagte sie: „Gälledsi, Si blibed bi eus über Nacht, Si krieged äs guet’s Bettli! ....“


Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(18%E2%80%9319)_013.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)