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dem Kartenfeld dieser reich besezten Gegend .... Ich wartete einen Augenblik. Dann lauschte ich in mich hinein: daß kein preußischer Schandarm nach menschlicher Berechnung auf Meilenweite hinaus jemals in diesem gesegneten Garden auftauchen könne, erfülte mein Herz wie mit einer kindlichen Dankbarkeit und ließ meine Seele wie auf Adlerfittichen zum Himmel flattern

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Da war sie – Venus – sie war schon wieder da, Hände und Arme voll, die Schlüßel klirten an der Flasche und den Tellern, und die Behäbige keuchte wieder und lachte, und besah sich dann von oben bis unten, ob ihr Gewand wieder mit Teufels-Unrat behängt sei. – Und jezt ging es an, das prächtig duftende braune Brod wurde angeschnitten, der Kräuterkäs gemischt, geknetet und dann aufgestrichen – riesige Happen, lang wie Schwertfische – und dann ging’s an’s Beißen und Sich-Ansehen und Sich-Anlachen und Sich-in-den-Mundsehen und die wilden Augen Beobachten ....

Reseli und Bärbeli zeigten sich unter dem Hausdach und wurden hergewinkt. Sie kamen, schämten sich ihrer Kleidung, wurden ausgelacht, griffen dann ebenfalls tapfer zu, und der Wein ward eingeschenkt und es ward gesipt und wieder rings sich angesehen, und die Lippen beobachtet und gelacht ....

Und Reseli und Bärbeli erzählten von den Wiesen und dem Heuen und den Kühen und der Stallwirtschaft und der Plage .... „ja das ischt zu arg! ....“ und lebten sich selbst – beobachteten nicht, wie ich, skeptisch die Gegend – sondern lebten sich selbst, naiv, wie Blumen und Chueli – erwogen nicht, wie ich, unzufrieden, was sie aus einer Sache machen solten, sondern waren die Sache selbst, wie die Knospe am Baum, frisch und glühend .... nur Venus mit ihrem dunklen Augenpaar wachte klug über das Ganze und hatte noch tief im Herzen Besorgniße und Gedanken ....

Da lagen sie nun vor mir, breit in den Tisch hineingelegt, diese prachtvollen sechs Mädchen-Arme, glühend und strahlend, wie mit Wonne gefült, goldig und rosig wie Borstdorfer Obst, mit bräunlichen Lichtern wie Erdäpfel, ein Schauladen der üppigsten Gerichte, und ich saß da mit meinen dünnen, erbärmlichen Armen, ausgedört wie ein Grübler, mager und vergiftet ....

Welch’ eine Entdekung! – rief ich in mir – wenige Stunden von Deinem Haus, wo Du unter lächerlichen Gedanken zu Grunde gehst, über die Wegweiser Georg Büchner und Johannes Scherr hinweg, zeigen Dir die Brüder Grimm den Weg zum „Vreneli’s Gärtli“, wo eine Hülle und Fülle alles Deßen, was Du ersehnt, über Dich hereinbricht! ....

Wie von einer plözlichen Erwägung abgelenkt, frug ich die Mädchen: „Sagt ’mal Kinder, wo ist eigentlich Eure Grotte, Eure Muschel-Grotte? ....

„Chrotte hämmer nüd – meinte Bärbeli – numme Fröschli! ....“

Und so schwazten wir in den Abend hinein, wie Natur-Menschen, die sich frei von Zwang fühlten, und wo der Unterschied der Sprache, der Nazjon, der Gefühlsweise nicht hinderte, einerlei Herzens zu sein, wo troz Misverständniße ein gemeinsamer Zug innerer Güte Alle umfaßte. –

Aber Venus hatte längst ihr Augenmerk auf mich gerichtet. Die Teller waren leer gegeßen, die Flasche ausgesipt. Mit aufgestelten Ellbogen glozten mich diese Venus-Kinder aus großen, aufgerißenen Augen an ....


Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(18%E2%80%9319)_012.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)