Seite:Zürcher Diskußjonen (16–17) 007.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

„Vergebens versicherte der arme Graf, daß er einst der berühmteste Dichter werde, daß schon der Schatten eines Lorbeerblattes auf seiner Stirne sichtbar sei, daß er seine süßen Knaben ebenfalls unsterblich machen könne durch unvergängliche Gedichte.[1] Ach, eben diese Celebrität war keinem lieb und in der Tat, sie war keine beneidenswerte. Ich erinnere mich noch, mit welchem unterdrückten Lächeln ein Kandidat solcher Celebrität von einigen lustigen Freunden unter den Arkaden von München betrachtet wurde. Ein scharfsichtiger Bösewicht meinte sogar, er sähe zwischen den Rockschößen desselben den Schatten eines Lorbeerblattes …… Er ist kein Dichter, sagen die Frauen, die vielleicht – ich muß es zu seinem Besten andeuten – hier nicht ganz unparteiisch sind, und vielleicht wegen der Hingebung, die sie bei ihm entdecken, etwas Eifersucht empfinden, oder gar durch die Tendenz seiner Gedichte ihre bisherige vortheilhafte Stellung in der Gesellschaft gefährdet glauben …… Was finden Sie in den Gedichten des Grafen von Platen-Hallermünde? frug ich jüngst einen solchen Mann. Sitzfleisch! war die Antwort. Sie meinen in Hinsicht der mühsamen, ausgearbeiteten Form? entgegnete ich. Nein, erwiderte Jener, Sitzfleisch auch in Betreff des Inhalts ……“

Der keusche, klaßisch-kühle Stil Platen’s schien Heine, deßen sinlich-explosiver Charakter dafür nicht die nötige Ruhe hatte, durchaus unverständlich geblieben zu sein. Auch daß es gerade die homosexuale Psiche sein mochte, welche Platen zum künstlerischen Schaffen anspornte und befähigte, mußte Heine nach dem damaligen Stand der Wißenschaft fremd geblieben sein. Wie weit er daneben griff, zeigt eine folgende Stelle aus den „Bädern von Lucca“: „… in der erlauchten Liebhaberei des Grafen sehe ich nur etwas Unzeitgemäßes, nur die zaghaft verschämte Parodie eines antiken Uebermuths. Das ist es ja eben, jene Liebhaberei war im Alterthum nicht in Widerspruch mit den Sitten, und gab sich kund mit heroischer Oeffentlichkeit …“ – Heute wißen wir, daß das homosexuale Gebahren nicht Uebermut noch Liebhaberei, sondern Zwang ist.

Zu Heine’s Glük unterblieb ein bereits in den Zeitungen angekündetes gerichtliches Nachspiel, da Platen es für vernünftiger hielt, zu schweigen. Doch die Urteile beim Publikum und in der Presse lauteten fast alle zu Heine’s Ungunsten. Er habe sich durch die Platen-Nummer unendlich geschadet, gesteht Heine selbst in einem Schreiben an Varnhagen von Ense vom 4. Febr. 1830, Neben vielen Andern brachte auch der „Gesellschafter“ vom 3. Febr. 1830 eine überaus scharfe Kritik, ebenso ein Artikel in den „Blättern für literarische Unterhaltung“ vom 23. Januar desselben Jahres, welcher den Titel „Rügen, Platen und Heine“ führte, und der den letzteren als verachtungswürdig hinstelte. Auch die älteren und neueren Literarhistoriker und Heine-Biografen beurteilen das Paskill vorwiegend in ungünstiger Weise. (Vergl. u. A.: Joseph Hillebrand, Die deutsche Nationallitteratur im XVIII. und XIX. Jahrhundert, 3. Aufl. Gotha 1875. Bd. III. S. 317-330. Karl Gödeke, Elf Bücher deutscher Dichtung. Leipzig 1849. Bd. II. S. 472. Grundriß zur Gesch. d. deutschen Dichtung. Dresden 1881. Bd. III. S. 451; Adolf Strodtmann, H. Heines Leben und Werke, 2. Aufl. Berlin 1873. Bd. I. S. 601–11; Robert Prölß, Heinrich Heine, Stuttgart 1886. S. 169–78). Erwähnt


  1. Die Sonette, auf die hier Heine anspielt, ist die 58te bei Platen, und lautet in der zitirten Cotta’schen Ausgabe S. 224 wie folgt:

    „Wenn einen Freund du suchst für’s ganze Leben,
    der dich durch Freude soll und Schmerz geleiten,
    so wähle mich, du findest keinen zweiten,
    und keinen fähigern, sich hinzugeben.

    Zwar kann er nicht, wie du, ein Wonneleben
    durch seine Schönheit um sich her verbreiten:
    doch alle horchen gern den Lieblichkeiten,
    die ihm begeistert auf der Lippe schweben.

    Ich fürchte nur, es möchte dich erbittern,
    wenn ich mir selbst so hohes Lob verstatte,
    blos um vor dir in falschem Glanz zu flittern;

    sonst würd’ ich sagen, daß auf diese glatte,
    noch junge Stirn, mit ungewißem Zittern,
    der Schatten fällt von einem Lorberblatte.“

    Diese Sonette wird gewiß der durchschnitliche Heterosexuale für „stark“ ansehen; das ist sie aber ganz sicher nicht; von einer direkt karnalen Anwandlung kann hier kaum die Rede sein, denn sonst würde sie Platen kaum veröffentlicht haben. Daß Heine sie aber von der Seite nahm, war sein polemisches Recht.

Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(16%E2%80%9317)_007.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)