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Bernhard Grueber: Peter von Gmünd genannt Parler. In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte. Jahrgang I.

Wahrscheinliche Höhe des projektirten Mittelschiffes 134.
Höhe der Chorkapellen vom Kirchenpflaster bis in den Gewölbescheitel 045.

Diese Maße sind jedoch nicht genau eingehalten worden und es kommen namentlich in den Breitenverhältnissen große Unregelmäßigkeiten vor. Die Formengebung im Einzelnen entspricht genau der im Gesammtplane festgehaltenen Einfachheit: mit Maßwerken und Laubornamenten ist ungewöhnlich gespart, den Ziergiebeln und Fialen fehlen die Eckblumen (Krabben), die an gothischen Kirchen sonst so häufig angebrachten Baldachine, Verkragungen, Larven und Bestiarien werden vermißt und im ganzen Gebäude ist nicht auf Anbringung auch nur einer einzigen Statue angetragen. Da aber Figurenschmuck bei einem Portale nicht wohl entbehrt werden konnte, ordnete der Meister am südlichen Kreuzarme statt des angezeigten Portals eine Vorhalle (Portike) an, welche im Gegensatz zu den schmalen und hohen Fenstern etwas befremdend aussieht. Man erkennt, daß Mathias kein Bildhauer war und daß ihm keine derartigen Kräfte zu Gebote standen.

Schon während seiner Leitung stieß der Bau auf bedeutende Hindernisse: es sollten, wie dies auch in Köln und Regensburg der Fall war, verschiedene Häuser und Grundstücke in den Bauplatz einbezogen werden, zu deren Abtretung die Eigenthümer sich nicht verstehen wollten. Daher die langsame Bauführung und das einseitige Vorrücken an der Südseite, während an der Nordseite wahrscheinlich bis zum Tode des Mathias wenig oder gar nicht gearbeitet wurde.

Nach dem Ableben des Meisters trat eine für den Dombau höchst unheilvolle Zwischenperiode ein, welche noch immer nicht aufgeklärt ist, deren Spuren aber an der Nordseite deutlich wahrzunehmen sind. Es wurde, ohne daß ein eigentlicher Bauleiter ernannt worden wäre, vier Jahre lang herumprobirt: im Laufe dieser Periode zog man den nördlichen Kreuzarm ganz ein und entstellte auch den schon angelegten südlichen, indem eine dem heiligen Wenzel gewidmete Kapelle ohne alle Rücksicht auf Plan und Harmonie so überzwerch in das Nebenschiff und den Kreuzflügel hineingeschoben wurde, daß selbst die Konstruktion Schaden litt und späterhin die Hauptmauer im Bogen über die Kapelle gesprengt werden mußte. Auf diese Weise wurde die plangemäße Vollendung ein für allemal zur Unmöglichkeit gemacht, wenn man sich nicht entschließen wollte, alle innerhalb der vierjährigen Zwischenzeit ausgeführten Theile abzutragen.[1] Eine fernere, jedoch nicht auffallend störende Abweichung war die, daß man die äusseren Nebenschiffe nicht frei ließ, sondern zu Kapellen umwandelte. Gegenwärtig ist die fünfschiffige Anlage nur in den beiden hintersten Traveen der Nordseite erhalten, welche Partie jedoch nicht mehr der Zeit des Mathias angehört.


  1. Die mehrfach ausgesprochene und in einige Beschreibungen von Prag übergegangene Ansicht, „daß die Wenzelskapelle hauptsächlich aus dem einen Grunde so verkehrt in das Domgebäude hineingerückt worden sei, weil sich an dieser Stelle das alte Grabmal des heiligen Wenzel befunden habe und dieses aus Pietät nicht verlegt werden wollte,“ entbehrt jeder Begründung und wird sowohl durch Urkunden wie durch die gepflogenen örtlichen Untersuchungen widerlegt. Erstens befand sich das ursprüngliche Grab des Heiligen gar nicht in Prag, sondern in Altbunzlau, von wo sein Leichnam erst mehrere Jahre nach der Ermordung abgeholt und in den Prager Dom übertragen wurde; zweitens bestand nach dem unzweifelhaften Berichte des Chronisten Weitmühl der alte Dom mit allen seinen Denkmalen noch im Jahr 1373, während die neue Wenzelskapelle bereits 1366 eingeweiht worden war. Obendrein würde bei einem Neubau jeder Architekt von vorne herein solche Dispositionen getroffen haben, daß ein in das Gebäude einzubeziehendes Monument eine würdige Stelle erhalten hätte, ohne daß die Gesammtanlage gestört worden wäre. Am wahrscheinlichsten ist, daß die Verunstaltung des Domes durch irgend ein Privatinteresse herbeigeführt wurde, wenn nicht, wie es in allen Zeiten zu geschehen pflegte, viele Köche die Suppe versalzten.
Empfohlene Zitierweise:
Bernhard Grueber: Peter von Gmünd genannt Parler. In: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte. Jahrgang I.. H. Lindemann, Stuttgart 1878, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:WuerttVjhhLG_Jhg_01.djvu/013&oldid=- (Version vom 1.8.2018)