Seite:Wilhelm Löhe - Evangelien-Postille Aufl 3.pdf/91

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

zu Kapernaum, trat ein Hauptmann zu Ihm, der bat Ihn; 6. Und sprach: HErr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gichtbrüchig und hat große Qual. 7. JEsus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. 8. Der Hauptmann antwortete und sprach: HErr, ich bin nicht werth, daß Du unter mein Dach gehest, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. 9. Denn ich bin ein Mensch, dazu der Obrigkeit unterthan, und habe unter mir Kriegsknechte; noch wenn ich sage zu einem: Gehe hin, so geht er; und zum andern: Komm her, so kommt er; und zu meinem Knechte: Thue das, so thut ers. 10. Da das JEsus hörete, verwunderte Er sich und sprach zu denen, die Ihm nachfolgten: Wahrlich, Ich sage euch, solchen Glauben hab Ich in Israel nicht funden. 11. Aber Ich sage euch: Viele werden kommen vom Morgen und vom Abend, und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich sitzen. 12. Aber die Kinder des Reichs werden ausgestoßen in die äußerste Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und Zähnklappen. 13. Und JEsus sprach zu dem Hauptmann: Gehe hin, dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht ward gesund zu derselbigen Stunde.


 DIeses Evangelium ist eines von den vielen im Kirchenjahre, welche uns Wunder des HErrn berichten. Alle diese Texte kommen mit dem vorigen Sonntagsevangelium darin überein, daß sie vor unsern Augen die Herrlichkeit Christi offenbaren. Es hat aber auch ein jeder von ihnen so viel Besonderes, daß ein Prediger nicht in Gefahr kommt immer einerlei zu sagen. Von dem einen HErrn und Heiland immer anderes und neues lesen und lernen wir, auf daß wir Ihn, die einzige Sonne, in Seinem mannigfachen Lichte desto reichlicher erkennen und durch Betrachtung und Erfahrung der mancherlei Weisheit und Gnade immer näher an Ihn gezogen und immer inniger mit Ihm vereinigt werden. Laßet mich nun einmal einiges von dem euch vortragen, was aus der Fülle dieses Evangeliums an Lehre und Erkenntnis geschöpft werden kann.


 Er selbst, der HErr, ist also, wie es sich von selbst versteht, in diesem Evangelium, wie in allen andern die große, heilige Person, vor welcher alle andern gleichsam ihre Herrlichkeit niederlegen und wie verschwinden. Erinnert euch an die Evangelien der vorigen Sonntage. Am vorigen zweiten Sonntag nach der Erscheinung sehen wir den HErrn am Anfang Seiner Werke und Wunder − Maria, Seine Mutter, tritt in den fernen Hintergrund zurück. Am ersten Sonntag überstrahlt das Kind, der Schüler JEsus Seine Eltern und die Lehrer Israels. Wie kann es anders sein, als daß heute der Mann JEsus, der Heiland in voller Kraft und Wirksamkeit über die hervorragt, mit denen Er es nach den Textgeschichten zu thun hat? Ein Aussätziger, groß an Glauben, − ein heidnischer Hauptmann von noch größerem Glauben nahen Ihm. Der Glaube macht in den Augen JEsu groß: groß in Seinem Reiche ist drum der Aussätzige, − noch größer der Hauptmann; der ist größer als ganz Israel, weil das scharfe, untrügliche Auge Christi in ganz Israel keinen Glauben erspähen kann, welcher dem des Hauptmanns hätte verglichen werden können. Aber hebe die beiden so hoch du willst: wird ihr Glaube den Glauben Marien und Joseph heruntersetzen? werden sie an Glauben größer sein als diese, welche der HErr in Sein gestrenges Urtheil über Israel so wenig eingeschlossen hat, als Er sie einschließen konnte, deren Glaube im Gegentheil durch viele Proben als eine unbezweifelte, himmelhohe Ausnahme in dem ungläubigen Israel an sonderem Orte, von dem HErrn unbesprochen und dennoch vor Ihm und Seiner Kirche in höchster Anerkennung steht? Der Aussätzige, der Hauptmann sind schöne Sterne am Lebenshimmel JEsu; aber wie der Abendstern und Morgenstern die andern Sterne, so überstrahlt der Glaube jener Jungfrau, die „durch den heiligen Geist, im Glauben“ Gottes Mutter wurde, den des Aussätzigen und des Hauptmanns, − und der über dieser wie eine Sonne leuchtet und ihr den Glanz nimmt, den Er ihr gegeben, auf daß Er über alles herrlich sei, der wird mit Seinem Glanze noch viel mehr über dem Aussätzigen und dem Hauptmann triumphieren. − Wie könnte das auch anders sein? Groß an Glauben kommen beide zu JEsu: aber sind sie nicht hilfsbedürftig und hilflos, und ist Er nicht ihr auserwählter Helfer, der allem Elend Rath weiß, bei dem sie auch allein im Glauben Hilfe suchen? Er kann auch helfen und hilft ja auch: Er ist ein HErr über die Uebel des Lebens, sie mögen Ihm nahen oder von Ihm ferne sein; Er beweist es durch ein mehr als königliches, durch ein göttliches Gebieten.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 080. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/91&oldid=- (Version vom 22.8.2016)