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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

uns heißen und treiben zu allem, das wir wüßten, daß ers gern hätte. Aber weil die Liebe nicht im Herzen ist, wird solcher Gehorsam nicht allein uns sauer, sondern wir sind auch unlustig und unwillig dazu, wollten immer lieber ein anderes thun, so wir dürsten, oder Fug hätten.“ − Was ist aber ein Werk, wenn es auch geleistet wird, so es mit Unwillen geschieht? Du hurst nicht, aber du enthältst dich mit großer Gewalt und wolltest viel lieber deine Lüste stillen. Du stiehlst nicht, aber du bist voll Neides und bestiehlst im Herzen tausend Mal die Andern. Du tödtest nicht, aber du gönnst deinem Nächsten in deinem Grimm den Tod und alles Unglück, und nur eine mühselige Klugheit hält dich von eigener Rache zurück. Warum wird dir das Gute so schwer? Weil du die Liebe nicht hast, die alles gerne und leicht und völlig thut, die sich selbst erklärt: „das ist die Liebe zu Gott, daß wir Seine Gebote halten, und Seine Gebote sind nicht schwer.“ So ist denn wirklich allein die Liebe des Gesetzes Erfüllung − und wird auch von Gott dafür angesehen und geachtet. Wenn du deinen Acker säest und dein Vieh weidest in Liebe zu Gott, ja, wenn du das allergeringste dir befohlene Werk in Liebe thust, so ist es mehr werth, als das größte, mühsamste Werk, das ohne Liebe vollbracht wird. Es ist doch alles nur Schein und Betrug, Heuchelei und Eitelkeit, wenn die Liebe mangelt. Darum fleißige dich der Liebe gegen Gott und Menschen, dann vollbringst du nicht blos Ein, sondern alle Gebote.

 Das vom Gesetz. Nun vernimm, was dir über das Evangelium in unserm Texte gelehrt wird. Das Evangelium ist eine Botschaft, welche nicht von unsers Gleichen Menschen redet; denn was für eine gute Botschaft sollte es von uns geben? Es ist eine Botschaft von Christo, der nicht allein Selbst gut, sondern grade so ist, wie wir Ihn zu unserm Heile bedürfen; in welchem alle göttlichen und menschlichen Eigenschaften und Werke in der leutseligsten, uns willkommensten Gestalt erscheinen. Durch Seine Liebe zu uns und durch Seinen Sieg für uns wird alles, was wir von Ihm hören, zur frohen Botschaft, zum Evangelium, zumal wenn es so ganz die innersten Punkte Seines Wesens und die höchsten Punkte Seines Wirkens berührt, wie unser Evangelium. Laßet uns einmal hören, was unser Text von Christus sagt.

 Während im ersten Theile unsres Textes der HErr dem Schriftgelehrten mit Antworten dient, sammeln sich immer mehr Pharisäer um Ihn her. An diese lauernde, selbstgerechte, dünkelhafte Versammlung wendet sich der HErr mit einer Frage: „Wie dünkt euch um Christo? Weß Sohn ist Er?“ Sie antworten richtig: „Er ist Davids Sohn.“ Da sprach Er zu ihnen: „Wie nennt Ihn denn David im Geist einen HErrn, da er sagt: Der HErr hat gesagt zu Meinem HErrn: Setze dich zu Meiner Rechten, bis daß ich lege deine Feinde zum Schämel deiner Füße. So nun David Ihn einen HErrn nennt, wie ist Er denn sein Sohn?“ Mit diesen Fragen, die ihrem Herzen und wohl auch ihrem Kopfe unauflösbar waren, stopfte der HErr der Pharisäer Mund für ein und alle Mal. „Es durfte niemand von dem Tage an hinfort Ihn fragen.“ − Er war der Weiseste, der allen seinen Fragern Fragen genug mit leichter Mühe entgegenstellen konnte, welchen ihre Kleinheit und Bosheit nicht gewachsen war.

 Aus diesem Evangelio nehmen wir des Evangelischen genug. − Wir erkennen aus ihm erstens die Menschheit des Messias, denn Er ist richtig und unwidersprochen Davids Sohn nach dem Fleische, also ein erlauchter, ein hochgeborener Sproß, aber doch eines Menschen Kind. Das mußte Er sein, der für uns unsre, für Menschen Menschenstrafen leiden, für uns unsre, für Menschen Menschenwerke vollbringen, menschliche Gerechtigkeit „erarnen“ sollte. Wie ein Mensch muß der Vertreter der Menschen leiden, wie ein Mensch muß Er versucht werden und siegen können, und um es zu können, muß Er Mensch sein. Kann Er’s nur sein, um das zu thun, ist nicht Ihm wie jedem andern Menschen die Aufgabe zu hoch gestellt, so wird Ihm, eben weil Er Mensch ist und menschlich ein göttliches Werk vollendet, aller Menschen Herz vertrauensvoll entgegenfliegen. Daß Er’s aber könne, dafür ist gesorgt. Wäre Er alleine Mensch, so könnte Er’s nicht. Aber Er ist nicht allein ein Mensch, nicht allein Davids Sohn, sondern, wie unser Evangelium deutlich lehrt, auch zweitens Davids HErr, also mehr, als David, mehr als Mensch, weil Er auch Gott von Gott ist, wie wir bekennen: „Ich glaube, daß JEsus Christus, wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren, sei mein HErr.“ Da ist also

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Wilhelm Löhe: Evangelien-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1859, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Evangelien-Postille_Aufl_3.pdf/450&oldid=- (Version vom 24.7.2016)