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ihn in seine unmittelbare Nähe und begünstigte ihn auf allerlei Weise. Eines Tages fragte er ihn, ob er schon verheiratet sei.

Er verneinte, und als er Näheres wissen wollte, erwiderte der Jüngling: „Ich hatte wohl früher einmal ein Verlöbnis geschlossen mit der Tochter des verstorbenen Friedensrichters Wu. Doch gab es später Uneinigkeiten, und das Verlöbnis schlief wieder ein.“

„Und möchtest du sie denn immer noch haben?“ fragte der Beamte.

Errötend schwieg der Jüngling. Da lächelte jener: „Ich wills für dich besorgen.“

Er sandte einen Untergebenen mit einem Geldgeschenk in die Familie. Die Mutter war erfreut, die Hochzeit wurde festgesetzt, und nach einem Jahr führte der Jüngling die Braut in seiner Mutter Haus.

Die Braut nahm die kleine Hacke, warf sie zu Boden und sprach: „Dieses Diebsgerät wollen wir vernichten!“ Lächelnd erwiderte der Jüngling: „Es hat uns doch zusammengebracht; wir wollens nicht vergessen.“ Sorgfältig hob er die Hacke auf und trug sie immer bei sich.

Die junge Frau war stets freundlich, aber schweigsam. Täglich besuchte sie dreimal ihre Schwiegermutter. Im übrigen schloß sie die Tür zu und saß still da. Um die Haushaltung kümmerte sie sich nicht sonderlich; nur wenn die Schwiegermutter etwa zu Beileid- oder Glückwunschbesuchen auswärts war, sorgte sie dafür, daß alles in bester Ordnung blieb. Nach zwei Jahren gebar sie einen Sohn, doch überließ sie ihn der Amme, ohne viel nach ihm zu sehen.

Wieder vergingen vier, fünf Jahre, da sprach sie plötzlich zu ihrem Manne: „Wir genießen nun die Freuden der Liebe seit acht Jahren. Doch geht es nicht an, über dem Kleinen das Große zu vergessen.“

Erschrocken fragte er, wie sie das meine; doch sie war schon in tiefes Schweigen versunken. Sie tat Feierkleider

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_337.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)