Seite:Wilhelm ChinVolksm 091.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Wohlgerüche, ließ sie die Augenbrauen schön geschwungen ziehen und schmückte sie mit Haarschmuck und Ohrgehängen. Er kleidete sie in feine Tücher und ließ sie von weicher Seide umflattern, das Gesicht weiß, die Brauen schwarz schminken, Armringe aus Edelsteinen anziehen und duftende Kräuter mischen. Sie füllten den Palast und sangen die Lieder der alten Könige, um ihn zu erfreuen. Jeden Monat brachte man ihm die köstlichsten Kleider und jeden Morgen die feinsten Speisen. Der Magier ließ es sich gefallen; weil er nicht anders konnte, nahm er damit vorlieb.

Nicht lange danach lud er den König ein, mit ihm zu reisen. Der König hielt sich an des Magiers Ärmel. So fuhren sie in die Höhe bis mitten in den Himmel. Als sie anhielten, da waren sie am Schloß des Magiers angelangt. Das Schloß des Magiers war aus Gold und Silber gebaut und mit Perlen und Edelsteinen geschmückt. Es ragte über Wolken und Regen empor; man wußte nicht, worauf es ruhte. Es erschien dem Blick wie aufgetürmte Wolken. Was den Sinnen sich bot, war alles anders als die Dinge der Menschenwelt. Dem König war es, als sei er leibhaftig inmitten der purpurnen Tiefen der Ätherstadt, der Sphärenharmonie des Himmels, wo der große Gott wohnt. Der König blickte nach unten, da sah er seine Schlösser und Lusthäuser wie Erdhügel und Strohhaufen. Der König weilte nun einige Jahrzehnte hier und dachte nicht mehr an sein Reich.

Da lud der Magier den König abermals ein, mit ihm zu reisen. An dem Ort, an den sie kamen, sah man oben nicht Sonne noch Mond, unten nicht Flüsse noch Meer. Die Lichtgestalten, die sich zeigten, konnte der König geblendeten Auges nicht erkennen; die Klänge, die herankamen, konnte der König betäubten Ohres nicht vernehmen. Sein Leib schien vor Verwirrung sich aufzulösen, seine Gedanken wurden irre, und das Bewußtsein drohte ihm zu schwinden. Da bat er den Magier zurückzukehren.

Empfohlene Zitierweise:
Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_091.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)