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alt. Der war nun schon ein achtzigjähriger Greis. Er hatte in hohem Amt dem Reich gedient und sich bereits zur Altersruhe in die heimatlichen Gärten zurückgezogen. Enkel waren drei da, lauter berühmte Minister; Urenkel über zehn, von denen fünf die Doktorprüfung schon bestanden; Ururenkel über zwanzig, von denen der älteste nach wohlbestandener Magisterprüfung soeben erst zu Hause angekommen war. Die kleinen Kinder erst, die noch auf den Armen getragen wurden, waren ohne Zahl. Die Enkel, die im Amte auswärts waren, als sie hörten, daß ihr Ahn zurückgekommen sei, erbaten alle Urlaub und kamen heim. Die Enkelinnen, die in andere Familien verheiratet waren, kamen ebenfalls herbei. Da ward er hocherfreut und bereitete ein Familienmahl im Saale, und alle seine Nachkommen mit ihren Frauen und Männern saßen rings um ihn her. Er selbst aber und seine Frau saßen oben in der Mitte, die Frau weißhaarig, ein runzliges, altes Weiblein. Der Scholar aber hatte noch immer das Aussehen eines zwanzigjährigen Jünglings, so daß alle Jungen im Kreise umherblickten und lachten.

Da sprach der Scholar: „Ich habe ein Mittel, das Alter zu vertreiben.“

Damit nahm er den Zauberwein hervor und gab ihn seiner Frau zu trinken. Als sie drei Gläser getrunken hatte, da ward ihr weißes Haar allmählich wieder schwarz, die Runzeln glätteten sich, und sie saß an der Seite ihres Mannes stattlich als junge Frau. Da kamen der Sohn und die älteren Enkel herbei und verlangten alle von dem Wein zu trinken. Wer auch nur einen Tropfen davon bekam, der wurde aus einem Greise wieder zum Jüngling. Die Sache wurde ruchbar und kam bis vor den Kaiser. Der Kaiser wollte ihn an seinen Hof berufen. Er aber lehnte dankend ab. Doch sandte er ihm von dem Zauberweine zum Geschenk. Der Kaiser ward darüber hocherfreut und verlieh ihm eine Ehrentafel, darauf geschrieben stand:

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_078.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)