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im stillen. Blickt man zurück, so sieht man die beiden Fische Wasser speien. Das Schiff war gerade unter ihren Mäulern durchgefahren. Es ist aber immer ein Sturm in der Nähe, wenn die Fischdrachen schwimmen; darum verbrennt man Papier oder Schafwolle, damit die Drachen das Schiff nicht in die Tiefe ziehen, oder man läßt den Stabmeister im Schiff Weihrauch verbrennen vor dem Stab in der Kajüte. Dann nimmt er den Stab und schwingt ihn über dem Wasser einmal im Kreise, so ziehen die Drachen den Schwanz ein und verschwinden.

Wenn die Asche im Weihrauchgefäß ohne Ursache auffliegt und sich in der Luft zerstreut, so ist es sicher, daß schwere Gefahr droht.

Vor etwa zweihundert Jahren ward ein Heer ausgerüstet, um Formosa zu unterwerfen. Die Fahne des Feldherrn wurde geweiht mit dem Blute eines weißen Pferdes. Da erschien plötzlich die Himmelskönigin auf der Spitze der Fahne. Im Augenblick war sie wieder verschwunden, aber der Heereszug hatte Erfolg.

Ein anderes Mal, zur Zeit Kienlungs, erhielt der Minister Dschou Ling den Befehl, auf den Liu-Kiu-Inseln einen neuen König einzusetzen. Als die Flotte südlich von Korea vorbeifuhr, erhob sich ein Sturm, und sie wurden verschlagen nach dem schwarzen Wirbel. Das Wasser sah aus wie Tinte; Sonne und Mond verloren ihren Schein, und es erhob sich die Rede, man sei in den schwarzen Wirbel geraten, aus dem noch kein Mensch lebend wieder herausgekommen. Die Schiffer und Reisenden erwarteten klagend ihr Ende. Plötzlich erschienen auf der Fläche des Wassers unzählige Lichter wie rote Lampen. Da wurden die Schiffer hocherfreut und beteten in der Kajüte. „Wir werden leben“, sagten sie, „die heilige Mutter ist gekommen.“ Und richtig erschien eine schöne Jungfrau mit goldnen Ohrringen. Die strich mit der Hand durch die Luft; der Wind wurde still und die Wogen eben. Es war, als würde das Schiff von mächtiger Hand gezogen. Plätschernd

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_050.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)