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Versprichst du mir, meinen Eltern dann nichts zu tun?“ – Der Drache war einverstanden und befahl, die Fesseln der Eltern zu lösen. Notscha schlug sich erst einen Arm ab. Seine Mutter brach in lautes Weinen aus. Aber es half nichts. Schon hatte er sich den Leib aufgeschlitzt, die Eingeweide traten hervor, seine drei Geister und neun Seelen zerstreuten sich, und sein Leben kehrte ins Jenseits zurück. Befriedigt gingen nun die Drachen weg, und Notscha wurde von seiner Mutter unter vielen Tränen beerdigt.

Das Geistige Notschas aber flatterte in der Luft umher und wurde vom Winde nach der Höhle des Großen Einen getrieben. Der nahm ihn auf und sagte zu ihm: „Du mußt deiner Mutter erscheinen. Vierzig Meilen von eurer Heimat liegt die grüne Felswand. Auf diesem Felsen soll sie dir ein Heiligtum errichten. Wenn du drei Jahre lang den Weihrauch der Menschen genießt, kannst du wieder einen Leib bekommen.“ Notscha erschien seiner Mutter im Traum und richtete ihr alles aus. Unter Tränen erwachte sie. Doch Li Dsing wurde böse, als sie ihm davon erzählte. „Es geschieht dem verruchten Knaben recht, daß er tot ist. Aber weil du immer an ihn denkst, darum erscheint er dir im Traum. Du mußt nicht auf ihn achten.“ Die Frau schwieg; aber von nun ab erschien er ihr täglich, sobald sie die Augen schloß, und wurde immer dringender in seinem Verlangen. Schließlich blieb ihr nichts anderes übrig, als ohne Wissen Li Dsings einen Tempel für Notscha errichten zu lassen.

Notscha tat in dem Tempel nun große Wunder. Alle Gebete wurden erhört. In weitem Umkreis strömten die Leute herbei, ihm Weihrauch zu verbrennen.

Ein halbes Jahr war so vergangen. Da kam Li Dsing bei einer großen kriegerischen Übung an jenem Berg vorüber und sah die Leute in dichtem Gewimmel wie Ameisen den Berg umdrängen. Li Dsing fragte, was es denn auf dem Berg zu sehen gäbe. – „Ein neuer Gott ist da, der so wundertätig ist, daß von überallher die Leute herbeiströmen,

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_041.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)