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fürchte ich, wird er mich bestrafen. Aber wenn wir jetzt auch scheiden müssen, so werde ich doch wieder mit dir zusammenkommen.“

Als sie diese Worte gesprochen, da ging sie wirklich weg. Der Kuhhirt lief ihr nach. Aber als er schon ganz nahe war, da zog sie einen ihrer Haarpfeile heraus und machte einen Strich quer über den Himmel. Dieser Strich verwandelte sich in den Silberfluß (Milchstraße). So stehen sie nun durch den Fluß getrennt und schauen nacheinander aus.

Seitdem kommen sie jedes Jahr am Siebenabend einmal zusammen. Wenn die Zeit gekommen ist, so fliegen die Krähen aus der Menschenwelt alle herbei und bilden eine Brücke, auf der die Spinnerin den Fluß überschreitet. An diesem Tag sieht man morgens und abends in den Bäumen keine einzige Krähe. Das hat wohl eben darin seinen Grund. Und außerdem fällt am Siebenabend häufig ein feiner Regen. Dann sagen die Frauen und alten Weiber zueinander: „Das sind die Tränen, die der Kuhhirt und die Spinnerin beim Abschied vergießen.“ Darum ist der Siebenabend ein Regenfest.

Westlich vom Himmelsfluß ist das Sternbild der Spinnerin, bestehend aus drei Sternen. Unmittelbar davor sind drei andere Sterne in Form eines Dreiecks. Es heißt, der Kuhhirt sei einmal böse geworden, als die Spinnerin nicht habe herüberkommen wollen, und habe mit dem Joch nach ihr geworfen. Das sei gerade vor den Füßen der Spinnerin niedergefallen. Östlich vom Himmelsfluß ist das Sternbild des Kuhhirten, bestehend aus sechs Sternen. Abseits davon sind zahllose kleine Sterne, die ein Sternbild formen, das an beiden Enden spitz und in der Mitte etwas breiter ist. Es heißt, die Spinnerin habe mit ihrer Spindel nach dem Kuhhirten wieder geworfen; aber sie habe ihn nicht getroffen, die Spindel sei abseits von ihm niedergefallen.

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Richard Wilhelm: Chinesische Volksmärchen. Eugen Diederichs, Jena 1914, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_ChinVolksm_034.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)