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Sprache hellenisch geheißen und was die Athener Besonderes hatten, war Dialekt[1] so gut wie Böotisch oder Chalkidisch.

Wenn man will, mag man diese Sprache κοινή nennen, mache sich aber klar, daß damit nichts weiter gesagt ist als „Gemeinsprache“, also dasselbe wie „Hellenisch“. Allein passend für uns ist „Hellenistisch“, weil wir so die ganze Periode zum Unterschiede von der älteren Zeit nennen. Meist verbindet man noch heute mit der κοινή ein Werturteil, denkt an ein verdorbenes, ausgeartetes Attisch, wenn nicht gar gänzlich widergeschichtliche Hypothesen über die Entstehung der κοινή aufgestellt werden. Da herrschen immer noch die reaktionären Grammatiker der Kaiserzeit, die Phrynichos und Pollux und Moeris, und von deren Standpunkt angesehen ist alles verwerflich, was die Ἕλληνες im Gegensatze zu den Ἀττικοί in den Mund nehmen; sie wirtschaften ja mit diesem Gegensatze. Ihnen genügen schon Menander und Hypereides nicht; sie würden auch die Vorlesungen des Aristoteles verworfen haben, wenn sie sie gelesen hätten. Es ist noch nicht lange her, daß man das Griechisch des Lukianos von Samosata als klassisch neben Lysias rückte und das des Polybios verwarf. Gewiß, wer wird nicht den Formenreichtum der ionischen und attischen echten Klassiker bewundern; da ist die Sprache ebenso unvergleichlich schön wie die Kunst der Schriftsteller. Aber geschichtliche Betrachtung muß auch der weiteren Sprachentwicklung gerecht werden. In dem Verluste des Duals, der schon im Ionischen eingetreten war, in manchen lautlichen Veränderungen (z. B. dem Schwund der Diphthonge ᾱι, ηι, ωι, der auch schon im Ionischen sehr weit ging)[2],

  1. Poseidippos bei dem Kritiker Herakleides. Das attische ει für ηι ist dialektisch geblieben und durch die Schule allmählich wieder dem ηι, d. h. η gewichen.
  2. Die Grammatiker sagen immer noch, daß die Böoter den Lokativ an Stelle des Dativs gesetzt hätten. In Wahrheit sind beide zusammengefallen, [31] weil ωι so wenig gesprochen ward wie ᾱι, das αε oder η geworden war, und ηι = ει.