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Schlafgemache; seinen Kopf hatte er in die linke Hand gestützt, seine Rechte hing nachlässig herunter, seine Augen starrten trübe in eine dunkle Ecke, der ganze Ausdruck seines Gesichts verrieth, daß seine Seele von schmerzlichen Bildern angefüllt war. So saß er lange, bis ein Geräusch an seiner Seite ihm sagte, daß er nicht mehr allein sey. Er blickte um sich, und sah seinen Knappen Julius neben sich stehen. Die Züge des schönen Knaben waren verstört, seine Augen hafteten mit einem Ausdrucke innigen Mitleids, aber doch mit verwirrter Unentschlossenheit an dem Ritter.

Der Ritter liebte den Knaben, das einzige Wesen, das er aus dem Frankenlande in seine Heimath mit herübergebracht, und das stets mit der hingebendsten Liebe, mit der unerschütterlichsten Treue, auf eine sonderbare, fast geheimnißvolle Weise an ihm gehangen hatte. Seine Niedergeschlagenheit, besonders in der letzteren Zeit, hatte er wohl bemerkt, allein, zu sehr mit sich selbst beschäftigt, hatte er nie sonderlich darauf geachtet. Doch in diesem Augenblicke mochte sein Schmerz, wie das dem Schmerze in edlen Seelen so leicht eigen ist, ihn mehr zum Mitgefühle für fremde Leiden hinneigen; die kummervolle Gestalt und das blasse Gesicht des Knaben fielen ihm auf, und liebevoll fragte er: Was fehlt Dir, Julius?

Da warf dieser, plötzlich in laute Thränen ausbrechend, sich vor ihm nieder und umfaßte mit beyden Händen seine Kniee, und rief, von Schluchzen unterbrochen: Ihr seyd unglücklich, lieber Herr! O könnte ich Euch retten! Könnte mein Leben es! Ich gäbe es so gern für Euch hin!

Empfohlene Zitierweise:
H. Stahl alias Jodocus Temme: Westphälische Sagen und Geschichten. Büschler'sche Verlagsbuchhandlung, Elberfeld 1831, Seite 076. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Westph%C3%A4lische_Sagen_und_Geschichten_076.png&oldid=- (Version vom 29.12.2019)