Seite:Was die Heimat erzählt (Störzner) 442.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
192. Die Gruben in den Forsten der Umgebung des Sybillensteins.

In den Waldungen, welche den Sibyllenstein und dessen Nachbar bedecken, befinden sich hie und da trichterähnliche Vertiefungen. Diese Gruben haben eine regelmäßige Tiefe von 3 bis 5 m und einen Umfang von 8 bis 12 m. Sie erinnern den Wanderer an eine Zeit, da noch Wölfe in dieser Gegend hausten, die in dem vielfach zerklüfteten Gelände sichere Schlupfwinkel fanden. Um die Wölfe auszurotten und ihnen mit Erfolg nachzustellen, wurden von Zeit zu Zeit Wolfsjagden abgehalten. Wirksamer erwiesen sich jedoch die Wolfsgruben, welche man anlegte und wohin die Wölfe durch einen ausgelegten Kadaver gelockt wurden. Die Gruben waren mit Reisig flach überdeckt. Wollte der Wolf die Lockspeise erlangen, die am oberen Ende einer aus der Mitte der Grube emporragenden Stange sich befand, so mußte er die Decke der Wolfsgrube betreten. Im Nu aber brach der Wolf durch und stürzte in die Tiefe. Ein Emporklettern an den senkrechten Wänden der Grube war dem Wolfe nicht möglich. Er war gefangen. Durch sein Heulen lockte er noch andere Wölfe herbei. So kam es häufig vor, daß zu Zeiten in einer einzigen Grube 3–6 Wölfe sich befanden. Vor Hunger hatte manchmal einer den anderen aufgefressen, ehe der Jäger herbeikam und durch Schüsse sie tötete. – Auf dem Ohorner Reviere befinden sich heute noch 15 Wolfsgruben. Ihre Zahl war früher bedeutend größer, im Laufe der Zeit ist manche mit Erdmassen ausgefüllt worden. –

Nördlich vom Forsthause „Luchsenburg“ findet man in ungefähr 100jährigem Waldbestande auf engem Raume gegen 20 Gruben, je 8 und 6 liegen hart nebeneinander. Die ausgegrabene Erde umgibt dieselben wallartig. Das sind die Reste ehemaliger Erdwohnungen, die in Kriegszeiten den Umwohnern im größten Dickicht als Zufluchtsstätten dienten, wohin sie auch vor den plündernden Feinden das Vieh und andere Habseligkeiten in Sicherheit brachten. Das war besonders der Fall im Kriegsjahre 1813. Noch leben in den umliegenden Dörfern alte Leute, deren Eltern einst in diesen Erdhöhlen Monate hindurch gewohnt haben.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Bernhard Störzner: Was die Heimat erzählt. Arwed Strauch, Leipzig 1904, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Was_die_Heimat_erz%C3%A4hlt_(St%C3%B6rzner)_442.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)