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Verschiedene: Wünschelruthe


hervor zu treten ans Furcht, sie möchte sich dann seinen Blicken entziehen. Doch hieß dies nur der Flamme die an seinem Herzen zehrte Nahrung geben, und da er ihrer Gewalt nicht länger zu widerstehn vermochte, entschloß er sich endlich, an sie zu schreiben, und ihr den Brief in das Fenster zu werfen, zu einer Zeit wo er hoffen durfte von niemand gesehn zu werden. Diesen Vorsatz führte er auch ohne Zögern aus, allein mit sehr schlechtem Erfolg, denn die schöne Genobbia warf seine Liebesergießungen ungelesen ins Feuer, ohne sie auch nur eines Blicks zu würdigen. Davon nicht abgeschreckt wiederholte er seinen Versuch einmal und mehreremal, obgleich mit nicht besserm Glück. Am Ende bekam die Dame denn doch Lust einen der Briefe zu öffnen, und zu sehn was darinn stände. Sie faßte Muth, las ihn, und da sie fand, daß er von einem vornehmen spanischen Edelmann komme, der auf das sterblichste in sie verliebt sei, wurde sie ganz nachdenkend. Das traurige Leben welches sie bei ihrem Murrkopf von Mann führte stand lebhaft vor ihrer Seele, sie fing an den Briefsteller mit günstigern Augen zu betrachten, und es währte nicht lange, so gestattete sie ihm eine geheime Unterredung in ihrem Hause. Außer sich vor Freude eilte der Jüngling sich zu ihren Füßen zu werfen, und schilderte ihr seine Liebe und seine Qualen, die er um sie erduldet hatte, mit den glühendsten Farben. Er wurde aber sehr bald in seinen Betheurungen unterbrochen, denn Genobbia hörte ihren Mann an die Thür klopfen. Eiligst verbarg sie ihn hinter das Bett, und zog die Vorhänge zu. Meister Raimond, der nur etwas zu Hause vergessen hatte, nahm was er brauchte, und ging wieder fort, so daß auch Nerino sich davon machen konnte, ohne von ihm gesehn zu werden.

Am andern Morgen ging Nerino über die Straße und sah Raimond von weitem. Er winkte ihm zu, er habe ihm etwas mitzuteilen, und als er an ihn heran kam sagte er: „was gebt ihr mir, Herr Raimond, wenn ich euch etwas ganz neues erzähle?“ - „Was denn?“ fragte der Doctor „Ihr denkt wol, ich weiß nicht, wo jene schöne Frau wohnt? fuhr jener fort. Ihr irrt euch gewaltig, mein bester Freund, denn was noch mehr ist, ich bin gestern bei ihr gewesen, und habe ihr meine Liebe betheuert, und weil ihr Mann eben nach Hause kam hat sie mich hinter’s Bett verborgen damit er mich nicht sehen sollte, und er ist auch ohne Verdacht wieder fort gegangen.“ - „Wär’s möglich! rief Raimond ganz bestürzt.“ - „Ja, ja es ist recht gut möglich, und obenein ist’s wahr. Was für ein schönes liebenswürdiges Weib ist sie doch. Wenn ihr sie besuchen solltet, Meister Raimond, seid doch so gut, mich ihr zu empfehlen, und sie zu bitten, daß sie mir ihre Gunst erhalte.“ - Meister Raimond versprach sein Bestes zu thun, und ging voll Mißmuth fort. Doch fragte er noch ehe er sich entfernte, ob Nerino wieder hingehn würde. „Das könnt ihr denken,“ war die Antwort.

Raimond kam grimmig nach Hause, doch ließ er seiner Frau nichts von dem vorgefallenen merken, denn er wollte ihr auflauern, um Nerino bei ihr zu treffen. Am folgenden Tage ging dieser auch wieder zu ihr, er hatte aber kaum Genobbias Zimmer betreten als der Mann nach Hause kam. Schnell versteckte sie ihren Gast in einen Kasten und warf einen ganzen Haufen Kleider über ihn. Raimond trat nun ein, that als ob er etwas suche, warf alles unter einander, zog die Vorhänge des Betts auf, und da er durchaus nichts finden konnte, ging er mit ruhigerm Gemüth wieder fort, um seine Kranken zu besuchen.

(Die Fortsetzung folgt).




Torquato Tasso’s befreytes Jerusalem




Sechster Gesang.




(Fortsetzung).
62.

65
Ein alter Burgturm, der gen Himmel strebet,

     Ist dort, gleich wo die Festungsmauer steiget,
     Der über Anger und Gebürg sich hebet
     Und rings die Lagerstatt der Christen zeiget.
     Dort sitzt sie, wann der Sonne Strahl sich hebet

70
     Bis daß die finstre Nacht zuthale steiget,

     Durchschweift mit Blicken das Gezelt der Franken
     Und sendet Seufzer, redet mit Gedanken.

63.

Von diesem Turm lauscht sie dem Kampfgewitter;
     Da pocht ihr Herz so heftig bey’m Betrachten,

75
     Daß es zu sagen scheint: „dein theurer Ritter

     Ist der, der drunten schlägt die Todesschlachten!“
     So steht sie dort, in Aengsten schwer und bitter,
     Des zweifelhaften Klingenspiels zu achten,
     Und stets, so oft den Säbel zückt der Heide,

80
     Tief in der Seele fühlt sie Schlag und Schneide.


64.

Doch wie sie recht es hört, wie sie vernommen,
     Der wilde Kampf soll bald auf’s neu beginnen:
     Da fühlt sie sich ganz ohne Maas beklommen,
     Ihr Herzblut augenblicks zu Eis gerinnen.

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_182.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)