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worden. So sagt man nicht Birkenbaum, Fichtenbaum, weil die Namen dieser Gattungen von Bäumen früher waren, als die Bezeichnung des Geschlechts. Hingegen sagt man Birnbaum, Apfelbaum, Nußbaum u. s. w. weil hier der Gattungsbegriff später zu unsrer Kenntniß kam, als der seines Geschlechts. Denn es ist bekannt, daß diese Gattungen von Bäumen in Teutschland nicht einheimisch, sondern erst zu uns gebracht worden sind, da schon die wilden Baumarten, und das Geschlecht selbst bezeichnet war. Man nannte demnach die nun eingeführten fremden Bäume, ehe man einen bestimmten Namen für sie wußte, mit dem Geschlechtsworte: Bäume. Die Frucht hatte indeß schon vorher einen Namen, den man vielleicht durch die Kaufleute erfahren hatte, und so entstand denn der Ausdruck: Apfelbaum, Birnbaum u. s. w.


Sehr abstracte Begriffe wurden erst ganz spät benannt, und die Zeichen derselben sind öfters vorher Zeichen der Gattung gewesen. — Einer der aller abstractesten Begriffe ist der eines Dinges; durch welches Wort ein Seiendes überhaupt bezeichnet wird. Im Teutschen ist die Ableitung dieses Wortes weniger verwickelt, als im Lateinischen, da das Wert Ens in dieser Sprache nicht das Existiren, sondern den reinen Begriff des Seins ausdrückt. Im Teutschen hieß wohl anfänglich alles, was als Werkzeug zu etwas gebraucht wird, ein Ding. Dies sieht man bei Kindern und ungebildeten Menschen, die anstatt des eigentlichen Ausdrucks (wenn sie etwas entweder noch nicht kennen oder sich dessen nicht sogleich

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Johann Gottlieb Fichte: Von der Sprachfähigkeit und dem Ursprung der Sprache. Hofbuchhändler Michaelis, Neu-Streelitz 1795, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Von_der_Sprachfaehigkeit_und_dem_Ursprung_der_Sprache_294.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)