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Das Klangmotiv des programmusikalschen Werkes birgt die nämlichen Bedingungen in sich; es muß aber - schon bei seiner nächsten Entwicklungsphase - sich nicht nach dem eigenen Gesetz, sondern nach dem des „Programmes“ formen, vielmehr „krümmen“. Dergestalt, gleich in der ersten Bildung aus dem naturgesetzlichen Wege gebracht, gelangt es schließlich zu einem ganz unerwarteten Gipfel, wohin nicht seine Organisation, sondern das Programm, die Handlung, die philosophische Idee vorsätzlich es geführt.

Fürwahr, eine begrenzte, primitive Kunst! Gewiß gibt es nicht mißzudeutende, tonmalende Ausdrücke - (sie haben die Veranlassung zu dem ganzen Prinzip gegeben) -, aber es sind wenige und kleine Mittel, die einen ganz geringen Teil der Tonkunst ausmachen. Das wahrnehmbarste von ihnen, die Erniedrigung des Klanges zu Schall, bei Nachahmung von Naturgeräuschen: das Rollen des Donners, das Rauschen der Bäume und die Tierlaute; und schon weniger wahrnehmbar, symbolisch, die dem Gesichtssinn entnommenen Nachbildungen, wie Blitzesleuchten, Sprungbewegungen, Vogelflug; nur durch Übertragung des reflektierenden Gehirns verständlich: das Trompetensignal als kriegerisches Symbol, die Schalmei als ländliches Schild, der Marschrhythmus in der Bedeutung des Schreitens, der Choral als Träger der religiösen Empfindung. Zählen wir noch das Nationalcharakteristische - Nationalinstrumente, Nationalweisen - zum vorigen, so haben wir die Rüstkammer der Programmusik erschöpfend besichtigt. Bewegung und Ruhe, Dur und Moll, Hoch und Tief[1] in ihrer herkömmlichen Bedeutung ergänzen das Inventar. Das sind gut verwendbare Nebenhilfsmittel in einem großen Rahmen, aber allein genommen ebensowenig Musik, als Wachsfiguren Monumente zu nennen sind.

Und was kann schließlich die Darstellung eines kleinen Vorgangs auf Erden, der Bericht über einen ärgerlichen Nachbar - gleichviel ob in der angrenzenden Stube oder im angrenzenden Weltteile - mit jener Musik, die durch das Weltall zieht, gemeinsam haben?

Wohl ist es der Musik gegeben, die menschlichen Gemütszustände schwingen zu lassen: Angst (Leporello), Beklemmung, Erstarkung, Ermattung (Beethovens letzte Quartette),


  1. Vergleiche später die Sätze über die „Tiefe“.
Empfohlene Zitierweise:
Ferruccio Busoni: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. Leipzig: Philipp Reclam jun., 1983, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Von_der_Macht_der_Toene.djvu/010&oldid=- (Version vom 1.8.2018)