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jeder Tänzerei sein. Sie verursachte dadurch ihrer frommen Mutter vielen Kummer, und diese machte ihr Vorwürfe und Ermahnungen genug, allein das half nichts. Besonders im Spätherbst und Winter ging die Lust des Mädchens los, wenn die jungen Leute des Dorfes zum Spinnen zusammenkamen, was man die Spinnekoppel hieß. Es wurde dann gespielt, gelärmt, gesungen und getanzt, und anstatt zu ordentlicher Zeit auseinander zu gehen, wurde es späte Nacht darüber. Am tollsten dabei und die Letzte, die zu Hause kam, war Marie. Die Mutter hatte das lange in Geduld angesehen, weil ihre Ermahnungen doch nichts helfen konnten. Einmal aber auf Marientag, als Marie wieder zu der Spinnekoppel ging, sagte sie zu ihrer Tochter: Versprich mir nur heute, daß du vor Mitternacht zu Hause kommen, und dich nicht auf der Straße herumtreiben willst. Heute ist unserer lieben Frauen Tag, und wenn da die Kinder ungehorsam gegen ihre Eltern sind, so werden sie auf der Stelle bestraft. Das ging der Marie ins Herz, daß sie weinte, und sie versprach ihrer Mutter, sie wolle gewiß nicht wieder spielen, so wahr der Mond am Himmel stehe. Mit diesem Versprechen nahm sie ihr Rad und ging.

Sie hatte aber kaum eine Stunde gesponnen, als draußen Gesang und Musik laut wurde und die jungen Bursche des Dorfes ankamen. Sie hatten Spielleute geholt, die Spinnräder wurden an die Seite geworfen, und Alles tanzte und sprang. Marie wollte zwar anfangs nicht mittanzen, aber die Musik und die Lust und die Bitten der Bursche drangen tiefer in ihr Herz, als das Versprechen, das sie ihrer Mutter gegeben hatte. Es war schon lange Mitternacht vorüber, als man sich endlich anschickte, auseinander zu gehen. Die Musik mußte sie aber noch auf die Straße begleiten, und als sie an dem Kirchhofe

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Jodocus Donatus Hubertus Temme: Die Volkssagen der Altmark. Nicolai, Berlin 1839, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Temme_Die_Volkssagen_der_Altmark_042.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)