Seite:Taras Schewtschenko. Ein ukrainisches Dichterleben. Von Alfred Jensen (1916).djvu/154

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Kampfe herausfordert, um Gerechtigkeit zu üben. Der fromme Schewtschenko wurde auch beim Anblick der Zustände in Rußland, als er nach Nizhnij Nowgorod kam, so aufgeregt und verzweifelt, daß er in dem obigen Gedicht sich direkt an Gott wendet und fragt: „Du, allsehendes Auge! Du schaust von der Höhe herab, wie Hunderte von Heiligen in Fesseln nach Sibirien vertrieben werden, wie die Henker morden, foltern und hängen! Weißt du nichts davon? Hast du das ansehn können, ohne geblendet zu werden? Auge, Auge, du kannst wahrhaftig nicht tief blicken, du schläfst in dem gläsernen Heiligenschrein …“

Noch größer wurde die Verstimmung und die dunkle Verzweiflung des kranken Dichters in Petersburg.

„Krank bin ich nicht“, seufzt er, „ich wills gestehn;
doch Tolles seh’ ich rings geschehn
und etwas stets erhofft mein Herz
und klagt mir schlaflos, voller Schmerz,
wie ungestillte Kinder klagen.
Was denn erhoffst du? Unheil, Plagen?
Denn Gutes kommt, mein Herz, dir nicht
Der Freiheit sollst du nicht mehr harren,
sie schläft – dank Nikolaus, dem Zaren!
Und um die sieche wach zu sehn,
so muß das Volk in aller Eile
die Äxte schleifen und die Beile
und gleich an ihr Erwecken gehn.
Sonst schläft sie uns – o Weltgeschichte! –
hübsch bis zum jüngsten Strafgerichte …
Die Großen werden sie betraun
und Kirchen und Palais erbaun,
sich um berauschte Zaren drehn
und preisend auf zur Knechtschaft schaun
und sonst wird nichts, rein nichts geschehn.“[1]

Und als er im letzten Lebensjahre an der Newa wanderte, wo er so viele hoffnungsreiche, tatendurstige Tage als Künstler und Dichter verbracht hatte, konnte er noch immer die quälenden Gedanken nicht los werden. „Hätten


  1. Übersetzt von Ostap Hrycaj.