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Seele von innen. Vergebens stellte er lange den schönen Jungfrauen[WS 1] nach, ihre Verachtung war sein wohlverdienter Lohn. Ergrimmt nahm er seine Zuflucht zur schändlichsten List; verschmähte Liebe entflammte sich in seinem Herzen zur bittersten Rache. Im erborgten Gewande eines Pilgers trat er eines Tages zu den Jungfrauen, und versprach ihnen ein untrügliches Mittel für die geblendeten Augen ihres Vaters; er befahl ihnen, in einem nahe gelegenen Thale vor Sonnenaufgang eine Pflanze zu pflücken, die er ihnen anwiess; der bestimmte Ort war ein schauerlich einsames Thal, von hohen überragenden Buchen und Eichen umgeben, die es nicht der Sonne noch dem Mond gönnten, das hohe Riedgras zu bescheinen, welches der feuchte Boden hervorbrachte; daher nennt man auch noch heute dieses Thal die kalte Klinge. Am nächsten Morgen, lange vor Sonnenaufgang, enteilten die zärtlichen Töchter der Ruhe; sie gingen frohen Muthes dahin, um dem Vater die heilsamen Kräuter zu brechen. Doch nie kehrten sie wieder, denn der Ruchlose ermordete sie, und begrub ihre Leichname im öden unbesuchten Thale. Der Vater, in Verzweiflung über den Verlust seiner Kinder, starb bald aus Gram, und den Mörder forderte in spätern Tagen das Bewusstseyn seiner schrecklichen That zur Sühne auf: er stiftete in der Gegend ein Kloster, auch liess er die Leichname der ermordeten Jungfrauen wol dreissig Jahre nachher in geweihte Erde bestatten.

P.     

Nachricht von einigen Volksfesten.[1]

Mit Vergnügen erinnere ich mich mancher Volksbelustigungen, die ich in frühern Zeiten mit ansah; tief prägen sich dergleichen Eindrücke in den Tagen der harmlosen unbefangenen Jugend in unser Gemüth, und bleiben selbst in spätem Zeiten ein Eigenthum unserer Erinnerung. In meinem Geburtsorte in der Rheinpfalz steht eine Linde, ausgebreitet ziehen sich ihre schlanken Äste an Stäben in die Höhe. Unter dieser Linde versammelten sich ehedem an Sonn- und Festtagsabenden die Jünglinge und Mädchen des Dorfes, und sangen in harmonischem Einklang alte Lieder und Romanzen. Noch jetzt wünsche ich oft die mir damals so lieb gewordenen Gesänge wieder vernehmen zu können, und verweile gern bei dieser freundlichen Erinnerung. Jährlich, zur Zeit der Kirchweihe, feierten die Einwohner des Dorfes unter jener Linde ein Fest; die Jugend versammelte sich des Nachmittags unter dem Baume, an einem Ast desselben ward ein Blumenkranz befestigt, die Jünglinge und Mädchen tanzten nach einer ländlich einfachen Musik um die Linde, und jeder hob sein Mädchen in die Höhe, wenn er an die Stelle kam, wo oben der Kranz hing. Welches nun so glücklich war, ihn zu erhaschen, dem ward ein mit Blumen und Bändern geschmücktes Lamm als Preis zugeführt. Theilnehmend vergnügten sich die Zuschauer an der Freude der jungen Leute, und an dem unterhaltenden Tanz. Jährlich ward dieses Fest, nur zuweilen mit einiger Abwechselung, wiederholt; es wurden nämlich bisweilen zwei seidene Tücher als Preis an einen Ast der Linde gebunden, um welche die Jugend tanzte, oben auf dem Baum lag ein mit Pulver geladenes Gewehr, so wie nun der Tanz begonnen hatte, ward ein brennender Lunten auf die Zündpfanne gelegt, und das Paar, welches bei dem Knall der Flinte gerade unter dem Preis tanzte, hatte ihn gewonnen. Leider sieht man nun diese unschuldigen Vergnügungen, diese Fröhlichkeit athmenden Volksfeste nicht mehr; allein wie könnte auch in einem Zeitalter, wie das unsrige, wo die Künste


  1. Badische Wochenschrift. Nr. 15. Freitags den 10. April 1807. Sp. 225. 226. Vgl. oben S. 77.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Jungfauen
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Reinhold Steig: Frau Auguste Pattberg geb. von Kettner. Koester, Heidelberg 1896, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Steig_Frau_Auguste_Pattberg.djvu/43&oldid=- (Version vom 1.8.2018)