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– Schweig, schweig! Geh auf der Straße nach Lüttich fort. Heute Nacht bin ich bei Dir! sagte er in Ebräisch.

– Du gehst nicht! rief der Prior.

Ein kleiner Krüppel dem ein Schlitten statt der Beine diente, brachte aber sammt dem Sträflinge die Nachricht ins Städtchen, daß Pater Rochus ein Jude sei. Und während dieser sich damit in ängstlicher Hast beschäftigte, dem Prior seine Geheimnisse zu offenbaren und zu erklären, um fliehen zu dürfen, kam ein Schlag andrer Art für den falschen Capuziner. Stadtknechte erschienen und verlangten den Juden Ben Salomon zu sehen, den sie augenblicklich banden und nach dem Gefängnisse brachten. Er, der Chemiker, der blasse Adept war derjenige, welcher in Valenciennes dadurch die Pest gemacht hatte, daß er die Brunnen vergiftete. Man hatte sein Vermögen längst eingezogen und seine Frau zum Thore hinausgejagt. Jetzt hatte sich der Jude sogar als Klostergeistlicher weihen lassen . . . Der Prior seufzte; Salomon war unrettbar dem Tode verfallen und das Urtheil, er solle in Cambray aus Gnade mit einem Pulversack unter dem Halse verbrannt werden, ließ vom geistlichen und weltlichen Gerichte bestätigt, nicht lange auf sich warten. Während Mirjam in Namur im Gefängniß als seine vermuthliche Mitschuldige schmachtete, mußte Ben Salomon den Holzstoß in Gegenwart einer unübersehbaren Menschenmenge besteigen. Die hohen Gerichtspersonen, der ganze Klerus war gegenwärtig . . . Der Henker hielt bereits die brennende Fackel in der Hand um dem armen Sünder sein Phönixfeuer anzuzünden.

Da wird die Menge unruhig, Geschrei ertönt; die Leute drängen sich . . . Der fette Erzbischof ist unter Convulsionen niedergesunken und liegt im Sterben.

Der Prior Deodatus hatte vergebens Alles angewandt, um seinen getreuen Gefährten zu retten. Jetzt trat er vor.

– So fiel ich nieder und der dort am Pfahl gab mir das Leben wieder, wie so vielen unter Euch! Laßt ihn wenigstens lebendig, damit er den hochwürdigsten Erzbischof rette; denn ich weiß, er kann’s! rief der Prior aus allen Kräften.

Ben Salomon ward losgebunden. Mit schwimmenden Blick sah er den dicken Prälaten an.

– Die Pest! sagte er. Schlagt dem Herrn Erzbischof, bis die Fußsohlen bluten und laßt mich frei. Ich schwöre, ich kehre zurück.

In seinem Leichenhemde, von Schaaren des Volkes umgeben, schritt der arme Sünder zum Apotheker, kam in einer halben Stunde zurück und eine Stunde darauf konnte der Erzbischof befehlen, daß Ben Salomon sammt seiner Familie frei und ehrlich nach Deutschland geschafft werde.

Prior Deodatus wußte die Kunst Gold zu machen; der Jude hatte sie ihm aus Dankbarkeit schriftlich erklärt. Aber der Prior nahm sein Geheimniß in’s Grab. Von Ben Salomon hörte man nichts mehr.



Empfohlene Zitierweise:
Text von Adolph Görling: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie. Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne, Leipzig und Dresden 1848−1851, Seite 881. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Stahlstich-Sammlung_der_vorz%C3%BCglichsten_Gem%C3%A4lde_der_Dresdener_Gallerie.pdf/898&oldid=- (Version vom 1.8.2018)