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zu gründen. Zweifelhaft über die Stelle, wo dieselbe erbaut werden solle, sei er von der Nacht überrascht worden, und habe sich zum Schlafe niedergelegt; am andern Morgen aber habe er das Kästchen mit Reliquien, welches er bei sich geführt, vermisst und, eifrig nach dem verlorenen Schatze suchend, es an einer Brombeerstaude hängend gefunden, neben welcher Waldbienen ihren Stock in Form eines Altars erbaut hätten. Und nachdem ein Traum ihm einen Zug weissgekleideter Jungfrauen gezeigt, habe er an jener Stelle das Kirchlein gegründet und daneben einige Zellen erbaut, in welche sechs Prämonstratensernonnen aus Wülfersberg als erste Insassen eingezogen seien. Als erste Aebtissin des Klosters wird Laodamia genannt; ihr folgte Christine von Biel. Aber erst unter Gertrudis, welche der Sage nach als anderthalbjähriges Kind von ihrer Mutter Elisabeth von Marburg hierher getragen und den Nonnen zur Pflege übergeben worden war, und die schon im einundzwanzigsten Lebensjahre zur Aebtissin gewählt wurde, erhob sich (von 1248–97) das Kloster zu grösserer Bedeutung. „Der Leitung der im heiligen Glanze strahlenden Lehrerin unterwarfen sich frühzeitig mehrere Jungfrauen, aus Nassauischen, Solmsischen und diesen gleichen Stämmen entsprossen, und widmeten sich dem Klosterdienste. Auch ihr Vermögen brachten nicht wenige dem Kloster zu, womit Gertrudis unter dem Beistand des Himmels die herrliche Kirche erbaute, welche sie der heiligen Jungfrau und dem Erzengel Michael weihte; auch die stattlichen Klostergebäude wurden von ihr aufgeführt.“ So erzählt der rheinische Antiquarius. Obwohl Gertrudis nicht förmlich heilig gesprochen worden ist, so fehlen doch nicht Berichte über ihre Gabe, das räumlich Ferne und das Zukünftige zu schauen und Wunder zu thun. Sie soll als ein vierjähriges Kind in der Todesstunde der heiligen Elisabeth ausgerufen haben: „Ich höre zu Marburg das Todtenglöcklein läuten, und wird

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August Spieß: Das Lahntal von seinem Ursprung bis zur Ausmündung nebst seiner nächsten Umgebung. Verlag von L. J. Kirchberger, Dillenburg 1866, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Spiess_Das_Lahnthal.pdf/109&oldid=- (Version vom 1.8.2018)