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Walther Kabel: Seltsame Einladungen. In: Deutscher Hausschatz, 17. Heft, 37. Jahrgang, S. 789–790

Vorpostengefechte den Tod zu finden – nebenbei der einzige Verlust an Toten und Verwundeten, den das famose Korps überhaupt zu verzeichnen hatte. Dieses arme Opfer gab nun den Anlaß zu einem langwierigen Prozeß, in dessen Verlauf die englischen Zeitungen eine Menge sensationeller Enthüllungen über die von dem Bureau „Times“ organisierte Expedition nach der Front brachten. Hektor Manning – so hieß der im „heldenmütigen“ Kampf Gefallene – war nämlich bei einer Lebens-Versicherungsgesellschaft hoch versichert, und diese weigerte sich, den Erben die Versicherungssumme auszubezahlen, indem sie die Einwendung erhob, der Versicherungsnehmer Hektor Manning habe sein Leben unnötig aufs Spiel gesetzt und sie sei daher nach ihren Statuten zur Auszahlung der Versicherungssumme nicht verpflichtet. Die Erben erhoben Klage mit der Begründung, Hektor Manning sei, wie auch alle übrigen Teilnehmer der Expedition, sowohl durch einen kugelsicheren Nickelstahl-Brustpanzer als auch durch einen zweiten, in dem Tornister angebrachten Stahlschutzschild gegen Geschosse genügend gedeckt gewesen, und es läge nur ein unglücklicher Zufall vor, den die Versicherung zu vertreten hätte. Auf diese Weise kam es heraus, wie vorsichtig die tapferen „Freiwilligen von London“ ihre Leiber vor jeder Gefahr geschützt hatten. Spott- und hohngewürzte Artikel erschienen in den Zeitungen, und ein liberales Blatt schrieb unter anderem: „So wie einst der siegreiche Barbar bei der Siegesfeier den berauschenden Wein aus dem grinsenden Totenschädel des erschlagenen Feindes trank, so vermag auch heute noch der angeblich auf der Höhe der Kultur stehende Mensch nur im Anblick der zerschossenen Glieder von seinesgleichen einen neuen Rausch der Sinne sich zu schaffen und nur dadurch dem ewigen Einerlei des Lebens zu entfliehen, daß er seine Schußwaffe im grausamen Zerstörungstrieb gegen seine Mitmenschen richtet. Übersättigte Feiglinge waren es, die der schamlosen Aufforderung zur Teilnahme an jener nur von ekelhafter Geldgier ersonnenen Expedition nach dem Kriegsschauplatz folgten, usw.“ Nebenbei: die Erben Hektor Mannings wurden mit ihren Ansprüchen in sämtlichen Instanzen abgewiesen. Das Bericht entschied, der Versicherte habe sich unnötiger- und höchst frivolerweise einer Lebensgefahr ausgesetzt. Der Umstand, daß er sich durch Stahlpanzer und -schild gegen Kugeln zu schützen suchte, ändere nichts an der Tatsache, daß er sich ohne jeden Grund in eine schwere Gefahr begeben habe.

Während der Regierung Ludwigs XIV., des „Sonnenkönigs“, war es in Paris Mode geworden, daß vornehme Kavaliere, die mit einem ebenbürtigen Gegner einen Zweikampf vorhatten, zu dem Duell nicht nur bekannte Herren, sondern auch Damen der Gesellschaft einluden.[ws 1]

Als einmal der Graf von Vitry, ein flandrischer Edelmann, seinen Degen mit dem des Herrn von Auberville kreuzte, soll der Saal des kleinen Vorstadttheaters, in dem das Duell stattfand, beinahe zu klein für die Zahl der Zuschauer gewesen sein. Graf Vitry hatte für diesen Zweck besondere Einladungskarten drucken lassen, die oben sein Wappen und darunter folgenden Text trugen: „Graf Cesare Emile Louis von Vitry, Herr der Schlösser Seukclerke und Paulehak, wird am 17. Dezember 1632[ws 2] die Ehre der Frau v. Moubbartville mit dem Degen gegen einen Herrn verteidigen, dessen Name nicht wert ist, fernerhin genannt zu werden. Ew. Hochgeboren sind hiermit zu dem Zweikampf, der um fünf Uhr nachmittags in dem Theatersaale Chabriot seinen Anfang nimmt, ehrerbietigst eingeladen.“

Bei diesem Duell wurde, wie ein Zeitgenosse des Grafen berichtet, der Herr v. Auberville im fünften Gange durch einen Degenstoß, der das Herz durchbohrte, getötet. Und – ein Zeichen der damaligen Sittenverrohung! – der Vetter des Gefallenen ließ sofort an Ort und Stelle das blutbefleckte Hemd Aubervilles in kleine Stücke zerschneiden und an die anwesenden Damen verteilen, die auch nicht im entferntesten daran gedacht hatten, beim Anblick des unter dem wohlgezielten Degenstoße Zusammensinkenden in Ohnmacht zu fallen.

In Kalifornien hatten Verbrecher, die zum Tode verurteilt waren, das Recht, zu ihrer Hinrichtung Freude und Bekannte einzuladen. Darin waren sie in keiner Weise beschränkt, und alle in regelrechter Form „gebetenen Gäste“ wurden zu dem grausigen Schauspiele zugelassen. Das vorgedruckte Formular lautete: „Sie werden hiermit ergebenst gebeten, der Hinrichtung von X. Y. im Gefängnishofe nächsten Freitag vormittags elf Uhr beizuwohnen. Zeigen Sie diese Karten gefälligst dem Kapitän am Gefängnistor vor. Eine Übertragung an andere ist unbedingt unstatthaft.“

Da in jedem Verbrecher ein großes Stück Renommiersucht und Eitelkeit steckte, so machten die meisten von diesem Rechte, ihre Bekannten auf ihrem letzten Gange um sich zu haben, tatsächlich Gebrauch. Sie zeigten sich größtenteils äußerst gefaßt, um vor ihren Freunden nicht für Schwächlinge gehalten zu werden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die letzten Abschnitte entsprechen dem Artikel Eigenartige Einladungen von Walther Kabel. Dieser erschien 1911 in der Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens.
  2. 1632 war Ludwig XIV. (1638–1715) nocht nicht geboren. Die Unstimmigkeit trifft aber auch auf den Artikel Eigenartige Einladungen zu und ist daher als Fehler von Walther Kabel aufzufassen.
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Seltsame Einladungen. In: Deutscher Hausschatz, 17. Heft, 37. Jahrgang, S. 789–790. Friedrich Pustet, Regensburg, Rom, New York, Cincinnati 1911, Seite 790. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Seltsame_Einladungen.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)