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das Zeug besitze. Manche von diesen gruppierten sich merkwürdigerweise um Arnold Ruge, einen geistvollen Philosophen und Schriftsteller, auf den jedoch der Name eines bloßen Gelehrten und politischen Träumers ebensogut und vielleicht weit besser gepaßt hätte. Dann gab es noch Gruppen von sozialistischen Arbeitern, die sich teils an Karl Marx, teils an August Willich anschlossen; und endlich Neutrale, die sich um diese Parteiungen nicht kümmerten und individuell ihre eigenen Wege gingen.

Kinkel war gewiß nicht ohne Ehrgeiz und auch nicht frei von illusorischen Hoffnungen auf einen baldigen Umschwung im Vaterlande. Es war ihm jedoch vorerst darum zu tun, seiner Familie in London eine anständige Existenz zu schaffen. Dies nahm seine Tätigkeit so sehr in Anspruch, daß er sich dem gewöhnlichen Treiben der großenteils unbeschäftigten Flüchtlinge nicht anschließen konnte. Auch war es ihm nicht möglich, für seine politischen Glaubensgenossen offenes Haus zu halten und ihnen seine Arbeitsstunden herzugeben und so die Wohnung seiner Familie zum Versammlungsplatz eines in der Wiederholung oft gesagter Dinge unerschöpflichen Debattierklubs zu machen.

Es wurde daher Kinkel der Vorwurf gemacht, daß er sich um die Sache der Revolution zu wenig und um seine Familieninteressen zu viel kümmere, und dies sei besonders zu tadeln, da er doch seine Befreiung in hohem Grade der Hülfswilligkeit seiner demokratischen Parteigenossen zu verdanken habe. Wie ungerecht auch dieser Vorwurf war, so nahm ihn Kinkel sich doch sehr zu Herzen. Er war in dieser Stimmung, als ihm ein Plan vorgelegt wurde, dessen erfolgreiche Ausführbarkeit nur die fieberhafte Phantasie des politischen Flüchtlings sich einbilden konnte. Der Plan war, eine „deutsche Nationalanleihe“ von, ich weiß nicht mehr, wie viel Millionen Talern zu erheben, rückzahlbar in einer gewissen Zeit nach der Etablierung der deutschen Republik. Das im Wege der Nationalanleihe zusammengebrachte Geld sollte dann einem Zentralkomitee zur Verfügung gestellt und zu revolutionären Zwecken in Deutschland verwendet werden. Um die Erhebung der Anleihe zu beschleunigen, sollte Kinkel ohne Verzug nach Amerika reisen und durch eine öffentliche Agitation, bei der seine persönliche Popularität und seine eminente Rednergabe besonders wirksam sein würden, die dort ansässigen Deutschen und auch Amerikaner, wenn es ginge, zu möglichst liberalen Beiträgen veranlassen. Unterdessen sollten einige von seinen Freunden durch persönliche Bemühungen andere hervorragende Flüchtlinge für diesen Plan zu gewinnen und womöglich die ganze Flüchtlingschaft unter einen Hut zu bringen suchen; aber Kinkel sollte sofort nach Amerika abreisen, ohne das Projekt weiteren Konsultationen zu unterwerfen, damit den Flüchtlingen, die sonst daran gezweifelt und gemäkelt haben würden, die Sache als ein Fait accompli dargestellt werden könnte.

Das Resultat, das man sich von den Ausführungen dieses Planes versprach, war folgendes: Die Verfügung über bedeutende Geldmittel würde die Flüchtlingschaft zu einer wirklichen Macht erheben. Die Existenz einer solchen Macht würde dem revolutionären Element in Deutschland frischen Mut verleihen, es durch die Zuziehung neuer Rekruten

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s249.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)