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die Pferde mit warmem Wasser. Das half ein wenig, aber nur für kurze Zeit. In dem Städtchen Fürstenberg mußten wir zu längerer Ruhe ausspannen, weil die Braunen nicht mehr weiter konnten. Erst nachmittag, nach einer Fahrt von mehr als dreizehn deutschen Meilen, erreichten wir Strelitz, wo wir an dem Stadtrichter Petermann einen begeisterten Freund und Beschützer hatten, der bereits in der vorhergegangenen Nacht an der Aufstellung der Relais beteiligt gewesen war.

Petermann empfing uns mit einer Freude, die mich fürchten ließ, er werde sich nicht enthalten können, das glückliche Ereignis aus den Fenstern den Vorübergehenden zu verkünden. In der Tat vermochte er sich’s nicht zu versagen, sofort einige Freunde herbeizuholen[1]. Bald gab’s ein reichliches Mahl mit heiterm Gläserklang, währenddessen ein Wagen mit frischen Pferden vorfuhr. Dann nahmen wir von dem braven Hensel einen herzlichen Abschied. Seine beiden schönen Braunen hatten sich niedergelegt, sobald sie in den Stall kamen – einer, wie wir später erfuhren, um nicht wieder aufzustehen. Ehre seinem Andenken!

Petermann begleitete uns auf der weiteren Fahrt, die nun mit ununterbrochener Schnelligkeit vonstatten ging. In Neubrandenburg sowie in Teterow wechselten wir die Pferde, und kurz nach sieben Uhr am nächsten Morgen, den 8. November, erreichten wir das Gasthaus zum weißen Kreuz an der Neubrandenburger Chaussee bei Rostock. Petermann holte sofort Moritz Wiggers herbei, der nun die ganze Sorge für uns übernahm. Ohne Verzug schickte er uns in Begleitung des Kaufmanns Blume in einer Droschke nach dem zwei Meilen entfernten Hafen- und Badeort Warnemünde, wo wir in dem Wöhlertschen Gasthause abstiegen. Petermann, überglücklich, daß sein Teil der abenteuerlichen Fahrt so gut gelungen war, wendete sich nach Strelitz zurück. Auf der Reise hatten wir uns angewöhnt, Kinkel mit dem Namen Kaiser und mich mit dem Namen Hensel anzureden, und unter diesen Namen wurden wir in der Herberge einquartiert.

Wiggers hatte uns Warnemünde als einen Platz von patriarchalischen Einrichtungen und Sitten geschildert, wo es eine Polizei nur dem Namen nach gäbe, und wo die Ortsobrigkeit, wenn man uns entdecken und die preußische Regierung unsere Verhaftung verlangen sollte, zuerst darauf bedacht sein würde, uns aus der Gefahr zu helfen. Dort, meinte er, würden wir sicher sein, bis eine gute Fahrgelegenheit oder ein besseres Asyl bereit sein würde. Von Warnemünde aus sah ich zum erstenmal in meinem Leben das Meer. Ich hatte mich lange danach gesehnt, aber der erste Anblick war mir eine Enttäuschung. Der Horizont erschien mir viel enger und die Wellen, die, vom Nordostwind gepeitscht, weißköpfig heranstürzten, viel kleiner, als ich sie mir in meiner Phantasie vorgemalt hatte. Ich sollte die See noch besser kennen und mit größerer Achtung und höherem Genuß betrachten lernen. Übrigens waren wir auch damals wenig zum Naturgenuß gestimmt. Kinkel hatte zwei, ich drei Nächte im Wagen auf der Landstraße zugebracht. Wir fühlten uns bis aufs äußerste erschöpft, suchten bald unser Zimmer auf und sanken fast

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: heibeizuholen
Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s213.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)