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Als sich zuerst mit schwindelndem Entzücken
Mein trunkner Geist um deine Seele schlang,
Daß – namenlos durch dich mich zu beglücken,

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Der Liebe Allmacht mich ins Leben zwang.


Getrennt von dir – was kann die Welt mir geben,
Das meiner Seele heißes Sehnen stillt?
Was soll mir jetzt das liebesleere Leben,
Wo nirgends Ruh für meine Sehnsucht quillt?

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Wo unentfaltet der Empfindung Blüthe,

Von Harmonie nicht mehr gewekt, verdirbt,
Und was mit Aetherglut den Geist durchglühte,
Von deinem Geist verlassen, fruchtlos stirbt,

Wo sich der Freude zarte Rosen bleichen

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Der Baum der Hoffnung keine Blüthen treibt,

Die Phantasien traurig von mir weichen,
Und ach! entseelt die Wirklichkeit mir bleibt.

Und doch – das Lüftchen, das mich kühlet, küßte
Vielleicht den Seufzer von der Lippe dir,

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Und jenen Stern, der still mir winkt, begrüßte

Vielleicht ein liebefeuchter Blick von dir.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Musen-Almanach für das Jahr 1799. Tübingen: J. G. Cottaischen Buchhandlung, 1797, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Musenalmanach_1799_227.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)