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Sappho.


Unter seine schönsten Jungfraun zählte
     Mytilene eine Dichterinn:
Sappho hieß sie: holden Reiz vermählte
     Sie mit hohem Göttergleichen Sinn.

5
Männer buhlten rings um ihre Blicke,

Alle wies durch Kaltsinn sie zurücke,
     Nur der Eine, denn sie sich erkohr,
     Schloß für ihre Seufzer Herz und Ohr.

Ach! Umsonst ergoß sie ihre Klagen

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     In die Laute, die sie selbst erfand,

Schuf umsonst Gesänge, ihm zu sagen,
     Was so heiß ihr Herz für ihn empfand.
Phaon lachte ihrer schönen Triebe;
Nimmer sprach sein Blick ihr Gegenliebe,

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     Amors Flammen zogen seinen Sinn

     Schon zu einem andern Mädchen hin.

Rosen, die von keinem Thau erfrischet
     In der Mittagssonne welken, gleicht

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Musen-Almanach für das Jahr 1799. Tübingen: J. G. Cottaischen Buchhandlung, 1797, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Musenalmanach_1799_053.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)