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3.

Nehmen wir an, Thomas Mann wolle schildern, wieNietzsches Moralpsychologie. der Onkel Gustav seinen Neuralgiekrampf im linken Beine verspürt,.. der bucklige kleine Onkel Gustav, mit dem blühweißen Vorhemdchen und dem goldenen Krückstock, den er von Großpapa Senator geerbt hat.. Oder nehmen wir an, Thomas Mann wolle schildern, wie Tante Riekchen stirbt,... das liebe, schmale, herzkranke Tante Riekchen, das so froh und gerne gelebt hat, – dann blüht Thomas Manns Weizen! Dann schwelgt, dann triumphiert Thomas Mann. Er kostet die Neuralgien Onkel Gustavs auf sechs Buchseiten aus und erläßt uns keinen letzten Luftschnapper Tante Riekchens, des lieben, schmalen, herzkranken Tante Riekchens. – Sehet her, so sagt Thomas Mann, so grausam ist das Leben, so schandbar bresthaft und so zum Weinen! O kommet und weheleidet ein bischen mit. Wir aber sagen: nein, Tomi, Dir fehlt jene weiche Härte, die die Seele des Kämpfers vor dem Klageliede über sich selber bewahrt; hol der Teufel Deine Sorte Gefühl! Du und Deinesgleichen helfen, wenn es drauf ankommt, niemanden! Verweichle Dich nicht, Du hast Ehrgeiz, aber bist ethisch-bequem. Du bist bevorzugt, aber schwächlich und süß-lamentabel. Du weißt nichts von schlichter, großer Herzen Not. Keiner hätte so viel Grund, frei-frech zu lachen. Lache frei und frech! lieber und verehrter Thomas Mann...


4.

Wenn Friedrich Nietzsche heute lebte, und Beispiele brauchte für seine heroische Psychologie der alten Moralaffekte, – für die Herkunft empfindsamen Mitleids aus allzumenschlicher Schwäche, der moralischen Emphatik aus giftigem Ressentiment, der belfernd-kategorischen Forderung aus der Ohnmacht Tyrannengelüste,... kein anderer Dichter deutscher Gegenwart könnte ihm so klare Belege liefern, wie dieses typische Weib, das beständig unter ästhetischem Vorwande dekadente Moralitäten bespiegelt und mit gar empfindsamer Klangfarbe allgemeinste, gemeinste Resonanzen weckt... Thomas Mann ist heimlich ein „Moralist“, heimlicher noch eine unethische Seele; zugleich selbstgerecht und weinerlich-altruistisch, zugleich egozentrisch und sentimental! Er schwelgt in sympathetischen Emotionen, ohne doch je Menschenfragen bis auf den Kern zu durchdenken und auszuwerten. – Thomas Mann ist ein Dichter, welcher Konventionelles höher bildet, nie aber in neuem und eigenem