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von Schüsseln, von Kleidern, von Fleisch u. s. f. handelt[1]. Ein Äquivalent für unseren allgemeinen Ausdruck des „Essens“ findet sich – nach den Angaben Trumbulls – in keiner amerikanischen Eingeborenensprache; dagegen gibt es eine Fülle verschiedener Verba, deren eines z. B. bei animalischer, deren anderes bei vegetabilischer Nahrung gebraucht wird, deren eines das Mahl eines Einzelnen, deren anderes ein gemeinsames Mahl ausdrückt u. s. w. Bei dem Verbum des Schlagens kommt es darauf an, ob es sich um einen Schlag mit der Faust oder mit der flachen Hand, mit einer Rute oder mit einer Peitsche handelt; bei dem Verbum des Brechens werden je nach der Art des Zerbrechens und nach dem Instrument, mit dem es erfolgt, verschiedene Bezeichnungen angewandt[2]. Und die gleiche, fast schrankenlose Differenzierung gilt, wie für die Tätigkeitsbegriffe, auch für die Dingbegriffe. Auch hier ist das Bestreben der Sprache, ehe sie zur Schaffung bestimmter Klassenbezeichnungen und „Gattungsbegriffe“ gelangt, vor allem auf die Bezeichnung der „Varietäten“ gerichtet. Die Ureinwohner von Tasmanien hatten kein Wort, um den Begriff des Baumes auszudrücken, dagegen je einen besonderen Namen für jede einzelne Spielart der Akazie, des blauen Gummibaumes u. s. f.[3]. Von den Bakairi berichtet K. v. d. Steinen, daß jede Papageien- und jede Palmenart von ihnen aufs genaueste unterschieden und benannt werde, während die Artbegriffe des Papageien und der Palme als solche kein sprachliches Äquivalent besitzen[4]. Die gleiche Erscheinung findet sich auch in übrigens hoch entwickelten Sprachen wieder. Das Arabische z. B. hat für einzelne Tier- oder Pflanzenvarietäten eine so erstaunliche Fülle von Bezeichnungen entwickelt, daß man es als Beleg dafür anführen konnte, wie durch die bloße Philologie und Wörterkunde das Studium der Naturgeschichte und der Physiologie unmittelbar gefördert werden könne. Hammer hat in einer eigenen Abhandlung nicht weniger als 5744 Namen für das Kamel im Arabischen zusammengestellt, die je nach dem Geschlecht, nach dem Alter oder nach irgendwelchen individuellen Kennzeichen des Tieres variieren. Es gibt besondere Bezeichnungen nicht nur für das männliche und weibliche Kamel, für das junge Kamelfohlen und das erwachsene Kamel, sondern auch


  1. [1] Sayce, Introduction to the science of language I, 120.
  2. [2] Trumbull, Transactions of the Americ. Philol. Assoc. 1869/70; vgl. Powell, Introduction to the study of Indian languages, Washington 1880, S. 61. – Für Einzelheiten s. die Beispiele aus den Algonkin-Sprachen u. aus den Sprachen der Sioux-Indianer in Boas’ Handbook I, 807 ff., 902 ff. u. ö.
  3. [3] Vgl. Sayce, a. a. O., II, S. 5.
  4. [4] K. v. d. Steinen, Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens, Berl. 1897, S. 84.
Empfohlene Zitierweise:
Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, erster Teil. Bruno Cassirer Verlag, Berlin 1923, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Philosophie_der_symbolischen_Formen_erster_Teil.djvu/274&oldid=- (Version vom 5.3.2023)