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Philon: Ueber Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis) übersetzt von Leopold Cohn

durch selbständiges Hören und Lernen und eigene Belehrung sich die Tugend erwirbt, fällt als Preis die Freude zu[1]; dem geübten Kämpfer, der durch rastloses Abmühen und durch unerschütterlichen <Charakter> sich die Tugend angeeignet hat, wird das „Schauen Gottes“ als Krone verliehen[2]. Könnte aber einer etwas Heilsameres oder Erhabeneres ausdenken als das Vertrauen auf Gott, als die das ganze Leben hindurch währende Freude und als das beständige Schauen des Seienden?

28 (5.) Wir wollen aber einen jeden von ihnen etwas genauer betrachten und uns dabei nicht bloss von den Namen leiten lassen, sondern tiefer in die Sache und in ihren Gedankeninhalt eindringen. Wer wahrhaft auf Gott vertraut, der hat erkannt, dass auf alle anderen Dinge, die geschaffen und vergänglich sind, kein Verlass ist; (es wird ihm dies schon klar), wenn er bei den stolzesten Bestandteilen seiner eigenen Person den Anfang macht, bei der Denkkraft und dem sinnlichen Wahrnehmungsvermögen; denn beiden ist gewissermassen ein eigener Ratssitz und ein Richterstuhl zugewiesen, der Denkkraft zur [p. 413 M.] Betrachtung des rein Geistigen, deren Ziel die Wahrheit ist, der sinnlichen Wahrnehmung zur Betrachtung des Sichtbaren, deren Ziel die Einbildung ist. 29 Das Unsichere und Schwankende der Einbildung ergibt sich schon daraus, dass sie sich auf Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten stützt, und jedes Bild täuscht uns nur durch leicht irreführende Aehnlichkeit das Urbild vor. Auch die Leiterin der Sinneswahrnehmung, die Denkkraft, die mit der Beurteilung der rein geistigen und sich ewig gleich bleibenden Dinge betraut zu sein glaubt, wird oft des Irrtums überführt; denn wenn sie auf die in zahlloser Menge vorhandenen Einzeldinge ihre


  1. Isaak, der Typus des durch natürliche Veranlagung tugendhaften Mannes bei Philo, wird geehrt durch seinen Namen, der „Lachen“ d. h. „Freude“ bedeutet (s. § 31).
  2. Jakob, der Gotteskämpfer, der Typus des durch praktische Uebung (ἄσκησις) zur Tugend gelangenden Weisen bei Philo, wird belohnt durch den Namen „Israel“ = Gottschauer (s. § 44).
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Ueber Belohnungen und Strafen (De praemiis et poenis) übersetzt von Leopold Cohn. Breslau: H. & M. Marcus, 1910, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhilonPraemGermanCohn.djvu/012&oldid=- (Version vom 30.9.2017)