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Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler

daß es viel von dem, was wir erwähnten, mit der Erde gemeinsam hat und anderes für sich besonders; denn teils ist es süß, teils bitter, teils wird es nach anderen Gesichtspunkten unterschieden: teils ist es trinkbar, teils nicht trinkbar – und beides zugleich ist es nicht für alle, sondern für die es das eine ist, für die ist es nicht das andere, und für die es nicht das eine ist, für die ist es gerade das andere –, 19 und teils ist es von Natur kalt, teils von Natur warm – gibt es doch an vielen Stellen unzählige Quellen, die siedendes Wasser aus der Tiefe geben, nicht nur auf der Erde, sondern auch auf dem Meere; sind doch sogar mitten im Meere siedendes Wasser hochspritzende Adern erschienen, die die so starke darüber von Ewigkeit hinflutende, kreisende Meeresströmung nicht löschen, ja nicht einmal in ihrer Wucht abschwächen konnte –. 20 Und ferner bemerken wir an der Luft, daß sie eine Natur hat, die den Körpern, die sich ihr ringsherum entgegenstellen, nachgibt; sie ist Trägerin des Lebens, der Atmung, des Gesichts, des Gehörs, der anderen Sinnesfunktionen; sie nimmt Dichte und Dünne, Bewegung und Ruhe an; sie dreht und verändert sich in mancherlei Wendungen und Wandlungen, bringt Winter und Sommer hervor und die Herbst- und Frühlingszeiten, von denen der Jahreskreis umgrenzt wird. [4] 21 Das alles nehmen wir wahr; doch der Himmel hat unfaßbare Natur, er hat kein deutliches Erkennungszeichen seiner selbst zu uns entsandt. Denn was könnten wir sagen? Daß er ein fester Kristall ist, wie einige[1] meinten? oder das reinste Feuer?[2] oder der fünfte sich im Kreise bewegende Körper, der an keinem der vier Elemente teilhat?[3] Wie ferner? Hat die feste und äußerste Sphäre nach oben hin Tiefe oder ist sie nur eine Fläche ohne Tiefe gleich den ebenen Figuren? Und wie? 22 Sind die Sterne Erdklumpen voll Feuer – denn sie seien Schluchten und Täler und glühende Steinmassen, sagen einige, die selber das Mühlenhausgefängnis verdienten, wo es so etwas gibt zur Strafe der Frevler[4] – oder sind sie eine zusammenhängende


  1. Anaximenes, Diels Vorsokratiker 3 A 14 und Empedokles 21 A 54. Philo hat die folgende Zusammenstellung einer Doxographie entnommen, vgl. hierüber P. Wendland, Eine doxographische Quelle Philons (Sitzungsberichte der Berliner Akademie XXIII, 1897, S. 1074 ff.).
  2. Parmenides, Heraklit, Strato, Zeno nach Aetius II, 11, 4 bei Diels 18 A 38.
  3. Nach der Lehre des Aristoteles.
  4. De aetern. mundi 47 wird die Theorie, daß die Sterne μύδροι διάπυροι seien, einigen zugeschrieben τῶν οἷα περὶ δεσμωτηρίου φλυαρούντων τοῦ σύμπαντος WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt οὐρανοῦ. Ob Philo an unserer Stelle auf die δόξα solcher Naturphilosophen anspielt, oder auf sein eigenes Zitat, ist so wenig auszumachen wie die Frage, ob zu seiner Zeit über Gefangene Strafarbeit in der Mühle oder Folterung verhängt wurde. Vielleicht dachte Philo an die Verurteilung des Anaxagoras διότι τὸν ἥλιον μύδρον ἔλεγε διάπυρον.
Empfohlene Zitierweise:
Philon: Über die Träume (De somnis) übersetzt von Maximilian Adler. H. & M. Marcus, Breslau 1938, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloSomnGermanAdler.djvu/15&oldid=- (Version vom 7.10.2018)