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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein

schlechter Künste zur Vollkommenheit gebrachten Kniffe hinzufügt. 76 Und möchte er doch nach einem kurzen Verweilen in ihnen fortziehen! Nun begehrt er aber auch zu verbleiben. Denn es heißt: als sie die Ebene gefunden hatten, ließen sie sich nieder wie in einem Vaterlande, nicht aber, daß sie ansässig wurden wie in der Fremde.[1] Es wäre nämlich ein kleineres Unglück gewesen, da sie auf Freveltaten gestoßen, sie als fremd und sozusagen unheimisch zu betrachten, nicht aber als vertraut[2] und verwandt anzusehen. Denn wären sie nur Beisassen gewesen, so wären sie wiederum weggezogen; da sie sich aber fest niedergelassen haben, so mußten sie für immer dort verbleiben. Deshalb treten sämtliche Weisen bei Moses als Beisassen auf.[3] 77 Denn ihre Seelen nehmen nie eine Auswanderung[4] aus dem Himmel vor, vielmehr sind sie infolge der Lust am Schauen und Lernen gewohnt, eine Reise in die irdische Natur zu unternehmen. 78 Nachdem sie aber im Zusammenleben mit den Körpern alles Sinnliche und Sterbliche mittels jener genau betrachtet haben, kehren sie wiederum dorthin zurück, von wo sie früher gekommen sind, da sie den himmlischen Kreis, in dem sie als Bürger leben, als das Vaterland ansehen, den irdischen aber, in dem sie als Beisassen wohnten, als die Fremde. Denn für Auswanderer wird an Stelle der Mutterstadt die (Stadt) zum Vaterlande, welche sie aufnahm, für Reisende dagegen bleibt es die Stadt, die sie aussandte, zu der sie auch zurückzukehren sich sehnen. [417 M.] 79 Deshalb sagt Abraham billigerweise zu den Leichenhütern und Haushältern des Sterblichen,[5] indem er vom toten Leben[6] und der Gruft aufstand: „Ein Beisasse


  1. Der von Ph. oft gemachte Unterschied zwischen παροικεῖν und κατοικεῖν beruht darauf, daß man unter παροικεῖν die Niederlassung eines Fremden ohne Bürgerrechte (πάροικος) verstand.
  2. Οἰκεῖος heißt eigentlich zum Hause gehörig, bezeichnet aber, zumal im stoischen Sprachgebrauch, auch die innere Zugehörigkeit.
  3. Der Zusammenhang ist sehr lose. An den Gedanken, daß wir uns von der Sünde, natürlich innerhalb des Erdenlebens, bald losmachen sollen, wird die Lehre geknüpft, daß das ganze Erdenleben nur ein Aufenthalt in fremdem Lande sei.
  4. Ἀποικία wird namentlich von Ansiedlern in Kolonien gebraucht.
  5. Die Söhne Hets sind die Zerstörer des seelischen Lebens; De somn. II § 89f.
  6. Nach 1 Mos. 23, 3 steht Abraham auf ἀπὸ τοῦ νεκροῦ αὐτοῦ; gemeint ist: von der Leiche der Sara.
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Philon: Über die Verwirrung der Sprachen (De confusione linguarum) übersetzt von Edmund Stein. H. & M. Marcus, Breslau 1929, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PhiloConfGermanStein.djvu/024&oldid=- (Version vom 1.8.2018)