seiner Vorfahren besitzt, während der Erstere nur die Früchte genießt, welche die Verdienste seiner Vorfahren hervorbrachten. So kann also der Eine durch seine Vorfahren, der Andere aber durch sich selbst groß seyn; und Welcher von Beiden verdient nun den Vorzug?
§. 4. Ach! sagt der auf seine Abkunft stolze Mensch, Alles geht schlecht in der Welt, seitdem wir so viele Emporkömnmlinge unter dem Adel zählen! Was mögen aber wohl Andere von seinen Vorfahren gesagt haben, als diese zuerst anfingen, sich in der Welt auszuzeichnen? Denn sie und alle Menschen und Familien, ja, alle Staaten und Reiche der Welt mußten doch auch ihr Emporkommen haben, oder ihren Anfang nehmen. Wenn daher Familien ihren Adel auf ihre alte Abkunft, und nicht auf ihre Tugenden gründen, so machen sie es eben so, wie die Kirche, welche behauptet, die wahre zu seyn, weil sie die älteste, nicht weil sie die beste ist. So kann es aber nicht gehen. Wenn das Alter etwas gelten soll, so muß es ein Alter in der Tugend seyn, und dieses muß vor jeder andern alten Abstammung den Vorzug haben. Sonst könnte Jemand von höherm Adel als sein Vorfahr, von dem er seinen Adel ableitet, und der Vorfahr, der ihm seinen Adel erwarb, von geringerm Adel als Er seyn; eine Seltsamkeit, welche die Geschicktesten in der Wappenkunde wohl schwerlich werden erklären können. Es ist allerdings sonderbar, daß Jemand sollte einen höhern Adel besitzen, als seine Vorfahren, denen er den seinigen verdankt. Wenn dieses aber ungereimt ist, wie es denn wirklich ist, so ist der Neugeadelte, der sich seinen Adel durch seine Tugenden erworben hat, der wahre Edelmann, und es
Wilhelm Penn: Ohne Kreuz keine Krone. Georg Uslar, Pyrmont 1826, Seite 215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Penn_Ohne_Kreuz_keine_Krone.djvu/223&oldid=- (Version vom 1.8.2018)