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in jüngeren Jahren viel gesungen und die Harfe gespielt. Er lernte erst Klavier und hat gar manchmal mit der Mutter ein „Doppel­stück“ d. h. vierhändig gespielt. Dann wurde es ihm durch die Güte des Vaters möglich, bei Berggold Unterricht in Gesang und Gitarrespiel zu nehmen. Er borgte sich für 8 Gr. monatlich und gegen Schadenersatz eine Gitarre und eilte mit ihr beglückt nach Hause: mit einem Griff in die Saiten trat er in die Wohnung. Nun wurden beide Instrumente abwechselnd gepflegt. Er spielt sich den Don Juan durch, singt aus Reißigers Fräulein vom See, die Holteischen Polenlieder, das Lied an Alexis, den Jäger von Reichard, ferner Teile aus der damals so beliebten Schweizerfamilie, voran das heimlich trauliche „Setz dich, liebe Emmeline, nah, recht nah zu mir!“ Von der Aufführung der Zauberflöte in der Singakademie mitten in den Maturustagen war schon die Rede: ein blinder Baron blies die Flöte dabei. Das Palmsonntagskonzert im alten großen Opernhaus mit einer Messe von Hasse, mit einer „Beethovenschen“, wird besucht; eine Arie aus dem Renegaten singt die Palazzesi[1] mit ihrer Nachtigallenstimme dazwischen. Die ganze Familie geht am 15. Juni 1832 in ein Orgelkonzert in die Kreuzkirche. Das Theater wird nicht allzuoft besucht; er gehörte also nicht zu den Schülern, gegen die auf Grund eines Synodenbeschlusses wegen allzuhäufigen Theaterbesuches, der doch schädlich wirken müsse, vorgegangen wurde. Über eine Aufführung in Meißen werden nur lustige Anmerkungen gemacht, der Theaterzettel zum „Löwen von Kurdistan“ nach W. Scotts Talisman (erster Platz 4, zweiter 2 Groschen!) wird als Andenken dem Tagebuche einverleibt. In einem Neustädter Dilettantentheater will ihm das Augenspiel der auftretenden Mädchen (Theater im Theater!) zu den im Publikum sitzenden Freunden und Freundinnen nicht gefallen. An die wenigen bedeutenden Stücke, die er im Hof­theater gesehen, schließt sich, wie ein Satyrspiel, der Besuch der Theatervorstellungen bei Direktor Magnus an. Nicht als Kreuz­schüler, sondern im Sommer 1832 als Leipziger Student hat er diese besucht.


  1. Nach Prölß, Geschichte des Hoftheaters zu Dresden, S. 410, besaß sie eine der schönsten Sopranstimmen.
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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/97&oldid=- (Version vom 8.3.2024)