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das Reiterlied; eine Strophe aus den „Künstlern“ lernt er aus eigenem Antrieb auswendig.

Auch Goethe hat ihn erfaßt. Blöde besitzt einen Faust. Sie nehmen ihn mit, wenn sie in den Palaisgarten gehen, um Fliederduft zu genießen. Er borgte sich auch dieses Werk aus, und manchmal heißt es: ich ging mit der Pfeife und dem Faust in den Garten und legte mich ins Heu. Im Winter besuchte er die Aufführung des Stückes. Auerbachs Keller und der Osterspaziergang gefallen ihm am besten. Die letzten Gretchenszenen verstimmten ihn und den Freund sehr. Neben diesen drei Größen werden auch des Voß Luise und Wielands Musarion gelesen; zu seinem Erstaunen wird hierin die in der Schule so gepriesene griechische Philosophie schlecht gemacht. Von Goethes Tode, der in die Zeit des Abiturientenexamens fällt, wird im Tagebuche nichts vermerkt.

Von neueren Dichtern jener Zeit seien Raupach, dessen Schleichhändler er liest, und Müllner genannt, dessen Schuld in jener Zeit so viele packte. Stellt Elisa von der Recke dies Werk doch fast auf gleiche Stufe mit den Stücken Goethes und Schillers! Eine umfassende Romanlektüre wird durch Vermittelung der Leihbibliothek getrieben: Cooper, Tromlitz, Caroline Pichler, Luise Brachmann. Einen seltsamen Titel führt ein Werk des Hans Falk: Elektropolis. Der Inhalt wird nicht angedeutet. Immer und immer wieder ist von Zschokke’s Novellen die Rede. Er lacht oder er weint bis zu Tränen, wenn er über ihnen sitzt. Das neue Deutschland tritt uns nur in Börne entgegen, der die Freunde sehr beschäftigt; merkwürdigerweise wird Heine nicht er­wähnt. Geschichtliches tritt ganz selten auf; die Vorbereitung für das Examen nimmt hier viel Interesse in Anspruch. Sie lesen Pölitz’ Sächsische Geschichte und fragen sich darüber aus. Und doch wird einmal zu Llorentes Geschichte der Inquisition (im Auszuge) gegriffen. Bücher ganz gewöhnlichsten Tages­interesses werden nicht genannt; nur einmal bringt eine gute, alte Großtante die Lebensbeschreibung einer berühmten Giftmischerin mit!

Zu den Freuden des Lebens war bei ihm auch die Musik zu rechnen. Die älteren Familienmitglieder regen ihn schon dazu an. Der Vater spielte die Flöte, die Mutter und deren Schwester hatten

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/96&oldid=- (Version vom 8.3.2024)