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hat. Von Verbindungswesen ist keine Spur zu merken. Eine Zeitlang sind die Freunde auf Kuchen ganz versessen und gehen oft einmal zum Kuchenbäcker; doch scheint auch dies nicht er­laubt gewesen zu sein, denn sie verabredeten sich, daß sie, wenn sie einmal von einem Lehrer gesehen werden sollten, sagen würden: sie hätten sich Cholerabonbons gekauft!

Nun war aber einmal eine Kneipengeschichte herausgekommen. Der Rektor versammelte die Hausinspektoren nach der Synode und erklärte ihnen den ganzen Prozeß: wie einer, der eine Tabakspfeife habe, wodurch er schon an und für sich ein Bengel wäre, liederlich würde, da er dazu trinken müßte, hernach lieber in Gesellschaft rauchte und, um beides zu haben, gleich auf Kneipen ginge. Von nun an müßte jeder Schüler, der seine Eltern nicht in Dresden habe, seine Wohnung melden – dies war also bisher merkwürdigerweise noch nicht geschehen. Die Lehrer wollten Umgang halten, und jeder Schüler müsse außer mit gehöriger Legitimation nach 6 Uhr zu Hause sein. Darauf erschien im Dresdner Anzeiger folgendes: daß in den Trödel­buden bei der Annenkirche Blendlaternen billig zu verkaufen seien, vorzüglich geeignet für Lehrer, die Primaner abends in ihren Wohnungen aufsuchen wollten – eine Anzeige, die zugleich darauf hinweist, wie selten noch Treppenbeleuchtung sein mochte.

Sechs Wochen, ehe die Oberprimaner die Schule verließen, war die Androhung für diese wohl etwas verspätet und über­flüssig, denn wenige Tage darauf ist schon davon die Rede, daß nach Leipzig wegen einer passenden „Bude“ geschrieben wird.

Wie toll es manchmal bei den Synoden zuging, ein Bei­spiel: In der Prima sangen die, die nicht zu Hausinspektoren bestimmt waren, Gaudeamus igitur. Dann machte einer den Erklärer von Guckkastenbildern, ein anderer gründete aus seinen Mitschülern eine Tierbude: einer wird zur Bisamkatze, ein anderer zur Wasserratte ernannt. Zum Schluß hebt der Tollste, ein zu­künftiger Theologe, die Klassentüre aus und will sie aufs Alumneum schleppen, lehnt sie aber an die Treppenwand. Wenn aus dem Programm hervorgeht, daß er zu Ostern mit II b im Be­tragen zum Studium übergegangen ist, bewahrheitet sichs: Alle Schuld rächt sich auf Erden!

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/88&oldid=- (Version vom 7.3.2024)