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so, daß er darüber die Geschichtswiederholungen versäumte. Ge­rade diese Art Studien empfahl der Rektor sehr eifrig; einmal rief er dem Schreiber zu: „Nur fleißig privatissime; Jean Paul hat als Primaner 4 Quarthefte excerpiert".

Von den lateinischen Aufsätzen hört man nicht viel: eine Stelle aus Horaz; dann eine Aufgabe, die an die Warnungen unsrer Tage vor Schundliteratur erinnert: de damno romanensium librorum – Vom Schaden der Romanlektüre. Vielleicht, um die Probe auf das Exempel zu machen, hat unser Chronist, auch während er daran arbeitete, häufig bei Bekannten oder in der Leihbibliothek Romane geholt, um sich an ihnen zu ergötzen. Wie steht es mit der häuslichen Arbeit nach den Niederschriften; hat sie auf dem jungen Menschen gelastet? Durchaus nicht. Er ist im Sommer und Winter nach dem Vormittag- und nach dem Nachmittagunterricht um 10 oder 11 und um 4 gar vielfach auf den Straßen der Altstadt, im Großen Garten, in der Neustadt, auf den Buden der guten Freunde. Er hat Zeit zu französischer Extrastunde, zum Gitarrespiellernen, zum Singen, zum Klavier­spiel, zum Fechten, zu musikalischen Übungen, zu Besuchen, zum Tanzen, zu Ausflügen an Mittwoch- und Sonnabendnachmittagen und an Sonntagen. Kurz, nicht die Spur von Überbürdung, obwohl viel Latein und tüchtig Griechisch getrieben wird. Zum Teil erklärt es sich daraus, daß der junge Mann ein Frühauf­steher war. Im Sommer hat er sich häufig das Wecken bei dem Soldaten, der hinter der Auswechslungskasse Wache zu stehen hatte, für um 4 oder 5 bestellt, und manche Vorbereitung für Lektion, Ausarbeitung usw. ist um diese Zeit entstanden. Ganz selten arbeitet er des Abends lange; als etwas ganz Be­sonderes wird einmal gebucht, daß er abends bis 11 45 gearbeitet habe. Es gibt sich auch im letzten Halbjahre vor dem Maturitätsexamen durchaus keine Erregung, kein atemloses Pauken kund. Fast sind die Freuden des geselligen Lebens gerade so groß, daß die Arbeitszeit geringe genug ist; die Interessen richten sich mehr und mehr auf die weiblichen Wesen, mit denen er an Gesangs- und Tanzabenden verkehrt. Es muß freilich hervorgehoben werden, daß für die Naturwissenschaften gar nichts, für Mathe­matik, neuere Sprachen und Deutsch fast nichts zu arbeiten ist.

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/86&oldid=- (Version vom 7.3.2024)