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ausgebrochene schildert. Als der Rektor eine Disputation beim Verlassen der Klasse ganz besonders lobt, fangen sie alle an zu klatschen, worauf er sagt: „Das wollte ich nicht haben!“; trotzdem ruft einer laut: Bravo!

Der Rektor hielt bei jeder Disputation nach Universitätsweise auf ganz besondere Formen: Der Disputator hatte eine schön geschriebene Invitatio, die ihm oft ein besser schreibender Kamerad verfaßte, beim Rektor einzureichen, der wohl ein: Glück zu! rief. In feierlicher Stimmung erwartete der Unglückliche den Rektor; dieser trat ein. Der Schüler, es war Julius Rachel selbst, begann: „Signa cecinere“ – es hat geläutet! Nun ging’s los, und es ging gut. Aber das Gedicht fiel ab; im Anschluß an eine Stelle der Ode, über die er disputiert, sagte der Rektor, er habe wenigstens laxo, nicht lapso arcu, mit schlaffem, nicht mit entglittenem Bogen gestritten. Wie es sich im Laufe der Jahrzehnte auf deutschen Gymnasien wohl hundert und aberhundertmal wiederholt haben mag, die lateinischen Gedichte oder die Übertragungen stammten von den besonders dazu Be­gabten aus der Klasse; diese waren geradezu die Fabrikanten, und im Tagebuch wird mit der gemütlichsten Offenheit gesagt, von welchem der zwei gerade das „heute“ vorgetragene Gedicht stammte. Löblich ist aber der Eifer, mit dem die Disputation betrieben wird. Gleich in den ersten Primanerwochen wird zum Zusammentritt zu einer Privatdisputation aufgefordert; unter­schriftlich verpflichten sich etliche dazu, und aus den Eintragungen geht hervor, daß die Zeiten auch regelmäßig innegehalten wurden. Wie es scheint, wird auf deutsch disputiert, etwa einmal über den Nutzen der Mönche im Mittelalter. Selbstverständlich schließen die Übungen, bei denen Tee getrunken wurde, mit lustigem Singen und lebhaftem Qualmen oder einem anregenden Schachspiel. Ein Bändchen guter Leistungen in diesen „Privatdisputationen“ ist in der Kreuzschulbibliothek erhalten. Unter anderem ist ein längerer Aufsatz aus dem Jahre 1832 darin, in dem sich der Verfasser über die Errichtung von gewerblichen Schulen und höheren Bürger­schulen ausläßt. Er will nichts weniger als gemeinsamen Unter­bau des Gymnasiums und dann Abzweigung in ein anderes Schulwesen und möglichste Erhaltung des gymnasialen Charakters

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Paul Rachel: Altdresdner Familienleben. Verlag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1915, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Paul_Rachel_Altdresdner_Familienleben.pdf/84&oldid=- (Version vom 7.3.2024)